Die Rechtsbehelfsbelehrungen in den Bescheiden der Jobcenter sind unvollständig, wenn in diesen – wie derzeit noch üblich – Leistungsempfänger nicht auch über die Möglichkeit belehrt werden, den Widerspruch selbst – und nicht nur über einen Rechtsanwalt – auf elektronischem Wege einlegen zu können.
Aufgrund einer solchen Unrichtigkeit kann der Widerspruch anstatt innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 SGG noch innerhalb der Frist von einem Jahr erhoben werden.
Hintergrund der Entscheidung ist, dass das verpflichtete Jobcenter Kiel seit dem 15. Januar 2018 am elektronischen Rechtsverkehr mittels elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) teilnimmt. Auch wenn es für Privatpersonen wenig praktikabel sein mag, besteht auch für diese die Möglichkeit, eine elektronische Signaturkarte bei der Bundesnotarkammer zu erwerben und das elektronische Behördenpostfach des Jobcenters Kiel rechtswirksam zu nutzen.
Für ALG II-Empfänger bedeutet das nicht nur in Kiel: Sie können noch ein Jahr nach Zugang eines Bescheides Widerspruch gegen diesen einlegen. Der Widerspruch hat – anders als ein Überprüfungsantrag, für den stets längere Fristen gelten – sog. „aufschiebende Wirkung“. Bei Erstattungsbescheiden hat dies etwa zur Folge, dass die Rückforderungsbeträge bis zu einer abschließenden rechtlichen Klärung nicht bezahlt werden müssen und etwaige schon eingeleitete Mahn- und Vollstreckungsverfahren ausgesetzt werden müssen.
Zudem ist für Widerspruchsverfahren – anders als für Überprüfungsanträge – von den Amtsgerichten nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets Beratungshilfe zu gewähren – was wichtig ist, um nicht auf den Anwaltskosten sitzen zu bleiben, sollte sich ein Widerspruch als nicht begründet erweisen.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 06.05.2021, L 6 AS 64/21 B ER
Quelle: Rechtsanwalt Helge Hildebrandt – Sozialberatung Kiel