In einem einstweiligen Verfügungsverfahren hat der für das Deliktsrecht zuständige 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm ein Verbot ausgesprochen, ein in Deutschland betriebenes Klageverfahren durch ein im Ausland außerhalb der EU erwirktes Klageverbot zu stoppen.
In einem Investitionsschutz-Streit wurde das Königreich Spanien von zwei Tochterunternehmen eines Essener Energieunternehmens vor einem Schiedsgericht des ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) erfolgreich auf Zahlung von Schadensersatz und Rechtsverfolgungskosten in Höhe von etwa 30 Millionen Euro in Anspruch genommen. Eine Vollstreckung des Schiedsspruches in Europa ist aufgrund EU-Rechts zu staatlichen Beihilfen derzeit nicht beabsichtigt.
Die Parteien streiten jedoch über die Anerkennung und Vollstreckung dieses Schiedsspruches in den USA. Vor diesem Hintergrund nimmt das Königreich Spanien die Unternehmen vor dem Landgericht Essen auf Unterlassung der Vollstreckung des Schiedsspruches außerhalb Europas in Anspruch (Az. 2 O 447/22). Dieses Verfahren haben die Unternehmen ihrerseits zum Anlass genommen, vor einem US-Gericht zu beantragen, dass das Essener Verfahren nicht weitergeführt werden darf.
Hiergegen wendet sich das Königreich Spanien vorliegend und hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die beiden Unternehmen beantragt. Ihnen sollte untersagt werden, im Ausland außerhalb der EU gerichtliche Maßnahmen gegen das Essener Verfahren zu erwirken. Nachdem das hierzu ebenfalls angerufene Landgericht Essen den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung abgelehnt hatte, hat das Königreich Spanien sein Ziel mit der sofortigen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht weiterverfolgt.
In der mündlichen Verhandlung vom 2. Mai 2023 haben der Senat und die Verfahrensbeteiligten sich zunächst ausführlich über den komplexen Sach- und Streitstand und sodann über die das Verfahren betreffenden Rechtsfragen ausgetauscht. Eine in der Praxis deutscher Zivilgerichte seltene Besonderheit dabei war die Beteiligung zweier Bevollmächtigter der EU-Kommission an der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015.
Mit seinem aufgrund der Verhandlung erlassenen Urteil hat der 9. Zivilsenat die vom Königreich Spanien begehrte einstweilige Verfügung erlassen.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich dabei aus § 32 ZPO. Der Verfügungsantrag sei auch statthaft. Der Umstand, dass vor dem Landgericht Essen über die Unterlassung der Vollstreckung eines Schiedsspruches gestritten werde, stehe dem weder unter dem Gesichtspunkt des Art. 1 Abs. 2 d EuGVVO noch des § 1026 ZPO entgegen. Denn der Schiedsspruch sei gerade nicht unmittelbarer Gegenstand des hiesigen Verfahrens. Hier gehe es allein um die Frage, ob das Landgericht Essen insoweit eine auf den Schiedsspruch bezogene Entscheidung treffen dürfe. Ob die Unterlassungsklage vor dem Landgericht Essen zulässig und begründet sei, sei allein in dem dortigen Verfahren zu klären.
Der die einstweilige Verfügung tragende Anspruch folge aus dem Justizgewährungsanspruch. Dieser könne – was der Senat offen gelassen hat – möglicherweise als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden. Jedenfalls aber habe er Schutzgesetzcharakter nach § 823 Abs. 2 BGB. Der zunächst unternommene Versuch, die Fortführung des Essener Verfahrens in den USA zu unterbinden, stelle einen Eingriff in diesen Justizgewährungsanspruch und darüber hinaus auch in die Justizhoheit Deutschlands dar. Es gehe nicht an, zu verhindern, dass ein angerufenes deutsches Gericht über die ihm vorgelegten Begehren entscheiden könne. Dieses alleine müsse über die Zulässigkeit und Begründetheit und alle in diesem Zusammenhang zu erörternden inhaltlichen Fragen ungehindert entscheiden können.
Der Verfügungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit folge aus dem in den USA unternommenen Versuch, dem Königreich Spanien das Essener Verfahren zu verbieten. Auch wenn dieses Verfahren nicht mehr anhängig sein sollte, bestehe jedenfalls eine Wiederholungsgefahr.
Vorinstanz: Landgericht Essen, Beschluss vom 7. März 2023 (Az. 2 O 97/23)
Quelle: Presseservice des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen