Ein unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehender Arbeitsunfall liegt nicht vor, wenn sich der Unfall in einem zur Privatsphäre des Internatsschülers gehörigen Zimmer ereignet. Dies hat das Sozialgericht Osnabrück in einem Urteil vom 07.11.2019 (Aktenzeichen S 19 U 16/19) entschieden.
Bei dem 1997 geborenen Kläger besteht eine autistische Erkrankung. Er absolvierte seit August 2016 eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik in einem Berufsbildungswerk, die durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert wurde. Der Kläger bewohnte während seiner Ausbildung allein ein Zimmer in einem Internat, welches nach der Hausordnung als Privatsphäre bezeichnet wurde. Die Gestaltung der Zimmer oblag den Internatsbewohnern.
Am Unfalltag – einem Sonntag – war der Kläger nach einem Wochenendbesuch bei seiner Familie abends wieder ins Internat zurückgekehrt. In seinem Zimmer rutschte er aus, fiel auf den rechten Arm und erlitt eine Ellenbogenfraktur.
Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, die Freizeit in den eigenen Internatszimmern sei grundsätzlich dem privaten Bereich zuzuordnen und stehe daher nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dagegen vertrat der Kläger die Auffassung, er sei durch die Internatsordnung nach Wochenendbesuchen zur Rückkehr ins Internat am Sonntagabend verpflichtet gewesen. Daher habe seine Freizeit mit Beginn der Rückreise geendet.
Das Sozialgericht Osnabrück hat die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt mit der Begründung, zwar sei der Kläger im Zeitpunkt des Unfallereignisses als Teilnehmer einer Bildungsmaßnahme gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 14 b SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, der Aufenthalt in seinem Zimmer, stand jedoch nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die Bildungsmaßnahme als versicherte Tätigkeit fand wochentags tagsüber statt. Das Sozialgericht Osnabrück hat hierzu u.a. auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) verwiesen.
Einen lückenlosen Versicherungsschutz mit der Erwägung, dass der Versicherte gezwungen sei, sich an einem fremden Ort in einer fremden Umgebung aufzuhalten, hat das BSG stets abgelehnt. Beispielsweise entfällt auch auf Geschäftsreisen der Versicherungsschutz, wenn der Reisende sich rein persönlichen, von seinen betrieblichen Aufgaben nicht mehr wesentlich beeinflussten Belangen widmet (vergleiche Urteil des BSG vom 18.03.2008, Aktenzeichen B 2 U 13/07 R). Das Gericht hat außerdem berücksichtigt, dass zwar ein Zusammenhang bejaht werden kann, wenn eine Gefahrenquelle unfallursächlich ist, die in ihrer besonderen Eigenart dem Versicherten an seinem Wohnort nicht begegnet wäre. Dies war jedoch beim Kläger nicht der Fall. Ihm war sein Zimmer im Internat bereits seit anderthalb Jahren bekannt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)
§ 2 Abs. 1 Nummer 14 b
Kraft Gesetzes sind versichert […]
14. Personen, die
a) […]
b) an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird.
§ 7 Begriff
(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.
§ 8 Abs. 1 Arbeitsunfall
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Quelle: Sozialgericht Osnabrück