Ist unklar, ob Leistungsberechtigten ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung zusteht, kommt aber für den Fall, dass ein Anspruch auf diese Sozialleistung nicht besteht, ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung in Betracht, sollte auch diese andere Sozialleistung stets vorsorglich beantragt werden.
Im konkreten Fall wurde einem spanischen Ehepaar, welches sich lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielt, für den Zeitraum März bis September 2015 vorläufig ALG II (jetzt Bürgergeld) bewilligt, weil zu dieser Zeit rechtlich noch nicht abschließend geklärt war, ob in diesen Fällen ein ALG II-Anspruch besteht. Später entschied der Europäische Gerichtshof, dass bei bloßer Arbeitsplatzsuche ein ALG II-Anspruch für EU-Ausländer nicht besteht. In der Folge setzte das Jobcenter den Leistungsanspruch für den Zeitraum März bis September 2015 auf null Euro fest und forderte 8.735,87 € von den Eheleuten zurück. Einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nach § 23 SGB XII beim zuständigen Sozialamt hatte das Ehepaar nicht gestellt.
Während das Landessozialgericht den Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen die Eheleute mit der Begründung abgelehnte hatte, das Jobcenter habe einen vorrangigen Erstattungsanspruch gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger, weil die Eheleute gegen diesen einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 23 SGB XII in gleicher Höhe wie die vom Jobcenter erbrachten SGB II-Leistungen gehabt hätten, gab das Bundessozialgericht dem Jobcenter Recht: Das Jobcenter konnte vom Sozialhilfeträger keine Erstattung der an das Ehepaar geleisteten ALG II-Zahlungen verlangen, weil der Sozialleistungsträger die nach § 105 Abs. 3 SGB X vorausgesetzte Kenntnis von seiner etwaigen Leistungsverpflichtung nicht hatte und sich die Kenntnis des Jobcenters von den leistungsrelevanten Sachverhalten auch nicht zugerechnet lassen musste.
(BSG, Urteil vom 11.09.2024, B 4 AS 6/23 R)
Quelle: Rechtsanwalt Helge Hildebrandt bei Sozialberatung Kiel