Der Kläger war bei der Beklagten, einem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen, seit 2016 als Straßenbahnfahrer beschäftigt. Im Juni 2017 erlitt er während der Arbeit einen Unfall, bei dem er verletzt wurde. Er ist seitdem arbeitsunfähig erkrankt. Eine Tätigkeit als Straßenbahnfahrer kam danach dauerhaft nicht mehr in Betracht.
Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Im August 2018 beantragte die Beklagte beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Zustimmung zur krankheitsbedingten Kündigung des Klägers. Der Kläger verlangte von der Beklagten jedenfalls im Dezember 2018 die Bezahlung von 13,5 Mehrarbeitsstunden aus dem Jahr 2017. Im März 2019 sicherte die Beklagte im Rahmen einer Verhandlung bei dem LVR zu, zu prüfen, ob der Kläger in ihrer Werkstatt eingesetzt werden kann.
Am 18. März 2019 rief der Kläger eine Mitarbeiterin der Personalabteilung wegen der noch ausstehenden Bezahlung der Mehrarbeit an. Er verlangte die Entscheidung und die Auszahlung noch am selben Tag und zwar zumindest als Zwischenzahlung. Die Mitarbeiterin teilte mit, dass sie dies mit einem anderen Mitarbeiter abklären müsse. Darauf ließ der Kläger sich nicht ein, sondern fragte, was denn passieren würde, wenn der andere Mitarbeiter sterbe. Dann müsse ja jemand anders die Entscheidung treffen.
Erhalte er keine Rückmeldung, dann würde er am gleichen Tag Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Am Abend desselben Tages reichte der Kläger bei der Beklagten Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitarbeiterin der Personalabteilung und den Leiter der Personalabteilung ein. Darin formulierte er, dass die Mitarbeiter verpflichtet seien, ihm seine Bezüge auszuzahlen, diese aber veruntreuen würden und sich somit strafbar machten. Im April 2019 bezahlte die Beklagte die 13,5 Überstunden.
Nach Beteiligung des LVR, der der beantragten fristlosen Kündigung durch Fristablauf und der ordentlichen Kündigung ausdrücklich zustimmte, kündigte die Beklagte nach Beteiligung von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. April 2019 fristlos und mit Schreiben vom 21. Mai 2019 ordentlich zum 30. September 2019. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe das Telefonat am 18. März 2019 in einem rauen und aggressiven Tonfall geführt. Er habe mehrdeutig über den Tod des anderen Mitarbeiters gesprochen. In der Dienstaufsichtsbeschwerde habe er die Mitarbeiter bewusst wahrheitswidrig der Veruntreuung bezichtigt. Der Kläger behauptet, er habe niemanden bedroht oder wider besseres Wissen falsch beschuldigt.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Es fehle sowohl für die fristlose als auch für die ordentliche Kündigung an einem Kündigungsgrund. Was genau der raue und aggressive Ton gewesen sein solle, sei nicht konkret vorgetragen. Mit dem Hinweis auf den Tod des anderen Mitarbeiters habe der Kläger alleine und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine zeitnahe Entscheidung auch ohne diesen möglich sein müsse. Dem Arbeitnehmer sei es im Übrigen erlaubt, kumulativ gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung von Ansprüchen zu benutzen und sich gleichzeitig innerbetrieblich über ein vermeintliches Fehlverhalten zu beschweren.
Die Dienstaufsichtsbeschwerde sei nicht mutwillig, nachdem der Kläger die Nichtzahlung der Mehrarbeit bereits im Dezember 2018 geltend gemacht hatte. Mit der Dienstaufsichtsbeschwerde habe der Kläger trotz des Vorwurfs des strafbaren Verhaltens den Boden der Sachauseinandersetzung nicht gänzlich verlassen. Es sei um den aus seiner Sicht unzulässigen Umgang mit seinem Be-gehren betreffend die Mehrarbeit gegangen.
Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiter die Abweisung der Kündigungsschutzklage.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8 Sa 483/19
Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 04.07.2019 – 7 Ca 2147/19
Quelle: Presseservice des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen