Kommentierte Gerichtsentscheidungen – Teil 29

13. Dezember 2020

BSG, Urteil vom 17. September 2020 (B 4 AS 11/20.R). Zur Konkretisierung der Angemessenheit von Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II darf ein Jobcenter in einem großstädtischen Ballungsraum nicht nur auf eine Datenbank über freie Wohnungen aller Größen, verteilt über das gesamte Stadtgebiet, zurückgreifen.

Eine solche, wöchentlich aktualisierte, tabellarische Aufstellung über preisgünstigen Wohnraum bis zur Mietobergrenze der jeweiligen Haushaltsklassen ersetzt kein planmäßiges Vorgehen des SGB II-Trägers und auch nicht die fortlaufende Prüfung der Schlüssigkeit eines entsprechenden Konzepts: Z. B. ob hier auch maßgebende Faktoren wie der Wohnungsstandard in der gebotenen Art und Weise berücksichtigt werden, damit Punkte wie die Repräsentativität und Validität der Datenerhebung sowie die Durchführung der Datenauswertung nicht kritisch aufgegriffen werden müssen.

LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. November 2020 (L 10 AS 449/19):

Auch bei lediglich über fünf Monate hinweg erzielten Einkünften aus Schrottverkäufen handelt es sich um ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 11b Abs. 2 und 3 SGB II.

In diesem Zusammenhang erzielte Erlöse sind als Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb im Sinne des § 3 Alg II-VO aufzufassen. An dieser Stelle hat von einer nachhaltigen Betätigung ausgegangen zu werden, angesichts der es als unerheblich aufzufassen ist, ob der Schrotthandel legal durchgeführt wurde oder nicht.

Hier ist vom Jobcenter gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-VO ein Durchschnittseinkommen mit Gültigkeit für den gesamten Bewilligungszeitraum zu bilden und sind entsprechend § 3 Abs. 4 Satz 3 Alg II-VO die Absetzbeträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II zu berücksichtigen.

BSG, Urteil vom 3. September 2020 (B14 AS 40/19.R):

Sowohl die Prüfung der Angemessenheit des Bedarfs für die Unterkunft als auch der Angemessenheit des Bedarfs für Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II haben grundsätzlich getrennt voneinander zu erfolgen, unbeschadet der vom Jobcenter durchzuführenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Kostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB II) und der Berücksichtigung einer nach § 22 Abs. 10 Satz 1 SGB II bestehenden Gesamtangemessenheitsgrenze.

Im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit von Bedarfen entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann die aus Kaltmiete und Betriebskosten gebildete Summe nur dann einen akzeptablen Angemessenheitswert darstellen, sofern auf dem Wohnungsmarkt auch tatsächlich in nennenswerter Zahl auf dem Wohnungsmarkt in Betracht kommender Wohnraum (bei einer vierköpfigen Bedarfsgemeinschaft im Land Berlin mit 90 qm Wohnfläche) allgemein zugänglich angeboten wird und damit generell verfügbar ist.

Lediglich aus der Überzeugung, dass mit der Einbeziehung der mittleren durchschnittlichen Mietspiegelwerte in gewichteten Anteilen die potenziell zumutbare und damit abstrakt angemessene Kaltmiete am Gerechtesten bestimmt werden kann, ergibt sich noch keine generelle Verfügbarkeit von Wohnraum.

Die Frist nach § 22 Abs. 1 Satz 3, letzter Halbsatz SGB II beginnt mit dem Zeitpunkt der Kenntnis der leistungsberechtigten Personen von ihrer Kostensenkungsobliegenheit.
Eine Absenkung der anerkannten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung darf von einem Jobcenter nicht schematisch nach dem Ablauf von sechs Monaten vorgenommen werden. Hier besteht keine Ausschlussfrist. Maßgebend sind hingegen stets die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls. In Betracht kann hier eine Aufforderung zur Kostensenkung durch Anpassung des Heizverhaltens oder durch einen Umzug kommen.

Sozialgericht Hildesheim, Beschluss vom 2. Dezember 2020 (S 58 AS 4177/20.ER):

Die Sanktionsregelungen nach den §§ 31 ff. SGB II verdrängen die Mitwirkungsvorschriften gemäß den §§ 60 ff. SGB I nicht als Spezialvorschriften entsprechend § 37 SGB I.
Ein Jobcenter kann von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ebenfalls die Obliegenheit zum persönlichen Erscheinen nach § 61 SGB I einfordern sowie gemäß § 66 SGB I als „Folgen fehlender Mitwirkung“ eine Versagung oder Entziehung der (Weiter-) Gewährung von Leistungen verfügen.

Einer Sanktion nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II in einer Höhe von zehn v. H. des Regelbedarfs für eine Dauer von drei Monaten steht die Anwendung der §§ 61 und 66 SGB I grundsätzlich nicht entgegen.

Drei einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vorgehaltene Meldeversäumnisse stellen allerdings nicht stets einen Grund dafür dar, die Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II) eines Leistungsbeziehers und damit die Voraussetzungen für einen Bezug von Alg II berechtigt in Frage zu stellen (§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I).

Eine derart enge Verbindung dieses Verhaltens als Grundvoraussetzungen für den Erhalt von existenzsichernder Leistungen entsprechend dem SGB II besteht nicht. Die Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB II steht mit der Wahrnehmung von Meldeterminen (§ 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III) in einem geringeren Sachzusammenhang als dies bei der Verfügbarkeit gemäß § 138 Abs. 5 SGB III feststellbar ist. Bei der Bekanntgabe von Meldeterminen nach § 59 SGB II hat vom Jobcenter stets ein sachlicher Grund mit angegeben zu werden.

Bedingt durch die aktuelle COVID-19-Pandemie und die Zugehörigkeit des Antragstellers zu einer anerkannten Risikogruppe ist ein Bestehen eines wichtigen Grunds für ein Fernbleiben von einem Meldetermin entsprechend § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu bejahen. Vor einer Sanktion nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat eine Anhörung der betr. Person zur beabsichtigten Minderung bzw. Entziehung von Leistungen gemäß § 24 Abs. 1 SGB X zu erfolgen. Ein diesbezügliches Unterlassen führt zur Rechtswidrigkeit einer von Jobcenter dennoch verhängten Sanktion.

BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2020 (1 BvR 1246/19):

Die Rechtsfrage, ob der Ausschluss eines in Deutschland lebenden, mittellosen griechischen Staatsangehörigen von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII als verfassungskonform aufgefasst werden kann, stellt sich aktuell als schwierig und ungeklärt dar sowie ist höchstrichterlich bislang noch nicht geklärt.

Sowohl die Auffassung, ein solcher Leistungsausschluss für weder erwerbstätige noch ausreisepflichtige Unionsbürger wäre verfassungskonform, als auch die Gegenansicht, die die Unvereinbarkeit eines derartigen Leistungsausschlusses mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG) anführt, stützt sich jeweils auf sachliche Gründe.

Die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein in dieser Sozialhilfesache geführtes sozialgerichtliches Eilverfahren hat deshalb als mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar und verfassungswidrig aufgefasst zu werden.

BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020 (1 BvR 1094/20):

Ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (analog) und Art. 18 Abs. 1 des „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein eigenständiges Aufenthaltsrecht vermitteln kann, so dass die aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) SGB II hervorgehende Ausschlussnorm nicht zur Anwendung gelangt, ist umstritten, schwierig und ungeklärt.

Der reine Verweis auf die Möglichkeit der Betreuung der gemeinsamen Kinder durch den aufenthaltsberechtigten Partner reicht für einen Leistungsausschluss gerade unter Berücksichtigung auch von Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK nicht aus.

BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2020 (2 BvR 1786/20):

Einstweilige Aussetzung einer Zwangsräumung im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG für die Dauer von längstens sechs Monaten, wenn die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil den Beschwerdeführer und Räumungsschuldner in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzen könnte, weil bei der Durchführung der Räumungsvollstreckung eine akute Suizidgefahr für diese Person nicht auszuschließen ist.

LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13. September 2020 (L 9 AY 9/20.B.ER):

Durch die Inanspruchnahme von Kirchenasyl von gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw. 6 AsylbLG leistungsberechtigten Personen wird die 18 Monate umfassende Wartezeit nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht unterbrochen.

Es handelt sich hier um keinen Ausdruck einer bewusst rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung des weiteren Aufenthalts dieser Personen im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG.
Wenn sich diese Klientel in ein Kirchenasyl begibt, dann wird hiermit weder ein rechtliches noch ein tatsächliches Abschiebungshindernis geschaffen, gerade wenn die Ordnungsbehörde der Ort und die Dauer dieses („offenen“) Kirchenasyls bekannt ist, d. h. kein arglistiges „Untertauchen“ vorliegt.

Sieht die öffentliche Gewalt dennoch davon ab, diese Personen aufzugreifen und die Abschiebung aus dem Bundesgebiet durchzusetzen, dann kann dies nicht den diese Form des Kirchenasyls in Anspruch nehmenden nichtdeutschen Personen angelastet werden.

BSG, Urteil vom 17. September 2020 (B 4 AS 3/20.R):

Die von einem suchtkranken Bezieher von Arbeitslosengeld II (Grad der Behinderung: 20) von einem konfessionellen Träger der freien Wohlfahrtspflege im Rahmen eines Beschäftigungsprojekts je Anwesenheitsstunde gewährte „Motivationszuwendung“ in Höhe von EUR 5,- hat bei einer Einordnung als „Zuwendungen“ im Sinne des § 11a Abs. 4 SGB II unter Heranziehung der Erwerbstätigenpauschale des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von monatlich EUR 100,- und des weiteren Erwerbstätigkeitfreibetrags nach § 11b Abs. 3 SGB II von der Berücksichtigung als ein Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausgenommen zu werden.

Die entsprechend § 11a Abs. 4 SGB II vom Jobcenter in Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes durchzuführende Gerechtfertigkeitsprüfung wirkt auch hier begrenzend. Vom Jobcenter können ebenfalls Art, Wert, Umfang und Häufigkeit dieser Zuwendungen berücksichtigt werden.
Hier besteht eine vergleichbare Lage wie bei „Erwerbsaufstockern“ im SGB II. Das Selbstverständnis der Erwerbstätigenpauschalen nach § 11b Abs. 2 Satz 1 / Abs. 3 SGB II besteht ebenfalls in der Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens.
Eine Berücksichtigung erhaltener Zuwendungen nach § 11a Abs. 4 SGB II in Beachtung des Erwerbstätigenfreibetrags gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 / Abs. 3 SGB II ist deshalb gerechtfertigt.

Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Juli 2020 (B 12 KR 21/18.R):

Wenn für die Dauer eines Monats es sowohl an einem Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bewilligenden Verwaltungsakt fehlt als auch kein tatsächlicher Leistungsbezug erfolgt, dann schließt dies die Anerkennung der Eigenschaft als ein „Empfänger laufender Leistungen“ gemäß § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V und damit die Verneinung einer Krankenversicherungspflicht entsprechend § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht aus, wenn der Sozialhilfeträger die Gewährung aufstockender Hilfen lediglich „vorläufig eingestellt“ hat und keine abschließende, Leistungen versagende Regelung traf.

Für dieses Unterlassen bestand auch ein sachlicher Grund, nämlich die Beibringung von Nachweisen über die Vermögensverhältnisse des Antragstellers (§ 90 SGB XII).
Einem vorläufigen Verwaltungsakt fehlt die für eine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X typische Verbindlichkeit. Diese Verfügung erledigt sich erst mit Erlass der endgültigen Verwaltungsentscheidung in dieser Angelegenheit.

Fehlt es an einer endgültigen Regelung des Sozialhilfeträgers über die Bewilligung von Leistungen, dann bewirkt dies keine zwingende Tatbestandswirkung und damit eine Bindung des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung an eine Entscheidung des Grundsicherungsträgers.
Bei derartigen Gegebenheiten kommt keine „Auffang-Pflichtversicherung“ nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zustande.

§ 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V präzisiert die Regelung zum Vorrang des Soziallhilfeträgers für die Erbringung von Hilfen zur Gesundheit entsprechend den §§ 47 ff. SGB XII.
§ 5 Abs. 8a Satz 3 SGB V stellt schließlich klar, dass diese Vorrangregelung nicht durch lediglich kurzzeitige Unterbrechungen ausgehebelt wird, und nicht abweichend vom Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen dem Sozialhilfe- und dem Krankenversicherungsträger den Auffang-Versicherungstatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V eröffnet, obwohl antragstellerseitig dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen im Sinne des § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V besteht.

BSG, Urteil vom 17. September 2020 (B 4 AS 5/20.R):

Die von einem Jobcenter verfügte Ablehnung der Zahlung einer Vermittlungsvergütung auf der Grundlage eines Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheins (AVGS – § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 4 und 6 SGB III) dem privaten Vermittler gegenüber stellt ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X dar.

Ein privater Arbeitsvermittler kann in diesem Rahmen gegenüber dem zuständigen Sozialleistungsträger einen öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruch geltend machen.
Die Vorlagepflicht nach § 45 Abs. 4 Satz 5 SGB III, die die Träger der privaten Arbeitsvermittlung betrifft, bezieht sich ausdrücklich auf „den Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein“. Hiermit ist es unvereinbar, wenn dieser private Träger dem Sozialleistungsträger lediglich eine Ablichtung und nicht das Original eines AVGS vorlegt. Dies gebieten die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts.
Durch die Vorlage des Originals dieses Dokuments werden mögliche Zweifel bereits bei der Antragstellung ausgeräumt und der Verfahrensabschluss auch im Interesse des privaten Trägers beschleunigt.

Bereits um seine Vermittlungstätigkeit auf den Inhalt des AVGS ausrichten zu können, besteht für den privaten Vermittler ebenfalls das Erfordernis, dass er bei Aufnahme seiner Tätigkeit stets Kenntnis vom vollständigen und richtigen Inhalt dieses Papiers hat.
Spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn der private Vermittler der zuständigen Sozialbehörde gegenüber die Zahlung einer Vergütung geltend macht, hat auch das für diese Rechtsbeziehung konstitutive Original eines AVGS dem Jobcenter bzw. der Agentur für Arbeit gegenüber vorgelegt zu werden.

LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Juli 2020 (L 9 AY 79/20.B.ER):

Ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG setzt ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten, ein Wissen und Wollen in Sachen der Erfüllung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Analogieleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG voraus.

Ein bloßes Unterlassen der Ausreise aus dem Bundesgebiet stellt auch bei gemäß § 60a AufenthG geduldeten Leistungsberechtigten nach § 1a Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, die weder über ein materielles Aufenthaltsrecht noch über eine formale Rechtsposition im Bundesgebiet verfügen, keinen Ausdruck eines entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlichen Verhaltens dar. Dies gilt gerade dann, wenn mangels Vollziehbarkeit der Abschiebung nicht von einem Verstoß gegen eine aufenthalts- und asylbewerberleistungsrechtliche Obliegenheit auszugehen ist.

Der besondere Aufenthaltsstatus der Duldung kann nur dann als rechtsmissbräuchlich in diesem Sinne aufgefasst werden, wenn die nichtdeutsche Person die hierfür maßgebenden Gründe zu vertreten, insbesondere zielgerichtet auf das hierfür ausschlaggebende Geschehen Einfluss genommen hat.

Bundessozialgericht, Urteil vom 3. September 2020 (B 14 AS 55/19.R):

§ 9 Abs. 2 SGB II gestattet die Berücksichtigung von Vermögen (§ 12 Abs. 1 SGB II) der Tochter bei ihrer im gleichen Haushalt lebenden Mutter nicht.
§ 9 Abs. 5 SGB II hat nur in dem Fall eine rechtliche Bedeutung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass leistungsfähige Verwandte ihre bedürftigen Angehörigen in der Weise unterstützen, dass dort „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird.

Über diese Norm „erwartet“ der Gesetzgeber nicht, was familienrechtlich nicht gestattet ist. Im Hinblick auf die Frage, in welchem Umfang Unterstützungsleistungen begehrt werden können, sind die Grenzen der elterlichen Vermögenssorge (§ 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu berücksichtigen. Das grundsätzliche Ziel dieser fremdnützigen Verwaltung besteht in der Bewahrung des Kindsvermögens zum Nutzen des Kindes.

Familienrechtlich ist es deshalb grundsätzlich als pflichtwidrig aufzufassen, wenn das Geld des Kindes von den Eltern für eigene Zwecke verwendet wird. Eine wechselseitige Vermögensberücksichtigung besteht nur innerhalb der Bedarfsgemeinschaft und ist im Verhältnis vom Kind zu seinen Eltern ausgeschlossen.

Auch vermögende Angehörige sind nach § 9 Abs. 5 SGB II nicht zu einem Vermögenseinsatz verpflichtet. Diese Norm greift nicht, wenn es an Unterstützungsleistungen in Form von Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II nachweisbar fehlt.

Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 4. November 2020 (S 21 AS 1820/20.ER):

Zur Verpflichtung des Jobcenters zur Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines internetfähigen PCs nebst Zubehör in Höhe von EUR 300,- nach § 21 Abs. 6 SGB II, wenn diese Ausstattung für einen bedürftigen Grundschüler als „unzweifelhaft erforderlich“ aufgefasst zu werden hat, damit er an wesentlichen Teilen des Unterrichts gerade auch bei einer Schließung der Schule teilnehmen kann. Wird einem Schulkind diese Möglichkeit genommen, ist die Gewährleistung des Existenzminimums gefährdet.

Es handelt sich hier auch um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II, da die hier benötigten Geräte (Desktop-PC, Drucker, Headset, PC-Lautsprecher) zur fortlaufenden Nutzung angeschafft zu werden haben, der unabweisbar ist und auch nicht auf andere Art und Weise gedeckt werden kann, d. h. weder durch von der Schule leihweise gestellte Geräte noch über Spenden des Fördervereins.

Quelle: Dr. Manfred Hammel


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