LSG Sachsen, Urteil vom 28. Mai 2020 (L 3 AS 64/18) Eine Sanktionierung wegen eines Meldeversäumnis nach § 32 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB II hat zur Voraussetzung, dass das Jobcenter den Alg II-Empfänger über den Meldetermin, d. h. über den Zeitpunkt, den Meldeort und den Meldezweck, vorher eingehend informiert hat.
Einem Leistungsempfänger muss nachweislich eine hinreichend bestimmte Aufforderung zur Meldung entsprechend § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III zugegangen sein. Für die ordnungsgemäße Bekanntgabe einer Meldeaufforderung trägt das Jobcenter gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 37 Abs. 2 Satz 3, 2. HS SGB X die objektive Beweislast, wenn der Alg II-Empfänger den Zugang dieser Aufforderung in Abrede stellt.
Wenn ein Jobcenter ein Einladungsschreiben mit einfacher Post verschickt, dann nimmt es dieser SGB II-Träger in Kauf, dass der Zugang dieses Briefes beim Leistungsempfänger nicht über eine Zustellungsurkunde nachgewiesen werden kann. Bestreitet ein Alg II-Empfänger wiederholt den Erhalt von Schriftstücken des Jobcenters, dann entspricht es den Obliegenheiten des SGB II-Trägers, diesen Behauptungen in geeigneter Weise, nämlich durch die Wahl einer Versendungsform mit Nachweis, entgegen zu treten.
Bundessozialgericht, Urteil vom 30. April 2020 (B 8 SO 12/18.R):
Für die Anwendung der aus § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII hervorgehenden Härtefallbestimmung ist die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich. Eine Ausnahme ist hier dann vertretbar, wenn das Vermögen aus einem privilegierten Einkommen gebildet wurde. In diesem Fall dient dieses Vermögen dem gleichen Zweck wie die fortlaufend bewilligte Zahlung.
Die zu einem Vermögen gewordene Beschädigtenrente nach § 1 OEG in Verbindung mit § 31 BVG verliert durch diese Ansparung nicht ihre ursprüngliche Funktion. Auch als Vermögen kann diese Rente (noch) die gleichen Zwecke erfüllen, denen die monatlich bewilligte Grundrente dient. Diese Geldleistung ist wesentlich vom Motiv des Ausgleichs eines vom Einzelnen erbrachten gesundheitlichen Sonderopfers geprägt.
Die gemäß § 1 OEG in Verbindung mit § 31 BVG bewilligte Grundrente hat den leistungsberechtigten Personen die Mehraufwendungen zu ersetzen, die ein solchermaßen gesundheitlich beeinträchtigter Mensch ohne die von ihm erlittene Schädigung nicht hätte, soll aber weder zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts noch zur Begründung eines Sparvermögens verwendet werden.
Die Privilegierung nach § 25f Abs. 1 Satz 5 BVG, derzufolge für Bezieher einer entsprechenden Grundrente das aus einer Nachzahlung gebildete Vermögen nach Ablauf von einem Jahr nach dem Kapitalzufluss unberücksichtigt bleibt, ist auch im Leistungsbereich der Sozialhilfe im Rahmen der Anwendung der Härtefallvorschrift des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XÍI angemessen zu berücksichtigen.
§ 25f Abs. 1 Satz 5 BVG soll den Beziehern einer Grundrente typisierend die Möglichkeit eröffnen, sich einen höheren Lebensstandard zu verschaffen, als dies mit Mitteln der Sozialhilfe realisierbar ist. Dies gilt gerade bei Kindern und Jugendlichen, die besondere Ansparungen für eine spätere, angemessene Lebensführung oder zur Finanzierung späterer schädigungsbedingter Mehraufwendungen tätigen.
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Mai 2020 (L 7 AS 1070/20.ER-B):
Die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gelangt stets in dem Fall zur Geltung, wenn es Ausländerinnen und Ausländern gelang, über fünf Jahre hinweg ständig mit gewöhnlichem Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) im Bundesgebiet zu leben, und zwar unabhängig davon, in welcher Form diese Personen während dieser Zeit ihren notwendigen Lebensunterhalt bestritten haben. Bei diesen Gegebenheiten ist von einer Verfestigung des Aufenthalts in der BR Deutschland auszugehen, vorausgesetzt, es liegt auch eine entsprechende Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde vor (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II), und dieser Zeitraum wurde nicht z. B. durch Zeiten eines rechtswidrigen Aufenthalts unterbrochen (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II).
Die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II setzt keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländerinnen und -Ausländer hat der Aufenthalt dieser Personen im Bundesgebiet zumindest so lange als rechtmäßig aufgefasst zu werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts entsprechend § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit gemäß § 7 Abs. 1 FreizügGB/EU die sofortige Ausreisepflicht verfügt hat.
Sozialgericht Dortmund, Beschlüsse vom 25. Oktober 2019 (S 38 AS 4794/19.ER) und vom 16. April 2020 (S 38 AS 762/20.ER):
Eine Antragstellerin ist als hilfebedürftig aufzufassen, wenn sich über einen vom Jobcenter ausgeführten Hausbesuch feststellen lässt, dass bei ihr an Nahrungsmitteln nur Knäckebrot und Wasserflaschen auffindbar sind, und die Antragstellerin angibt, sie würde durch das Sammeln von Pfandflaschen und das Ausüben von Betteln lediglich ein Einkommen in einer Höhe von zehn bis 15 Euro monatlich erzielen, was sich nicht über weitere Daten und Fakten entkräften lässt.
Gegen ein Bestehen einer eheähnlichen Partnerschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II spricht, wenn die vom Vater ihres Sohnes angemietete Wohnung vollständig eingerichtet ist, sich dort auch ihre persönlichen Gegenstände befinden, und die Unterkunft einen bewohnten Eindruck macht, sowie beide Personen übereinstimmend erklären, sie hätten keine Partnerschaft geführt und seien auch nicht über eine Freundschaft hinaus miteinander persönlich verbunden.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) können nicht geltend gemacht werden, wenn behördlicherseits Zweifel angebracht sind, ob der zwischen diesen beiden Personen vereinbarte Mietvertrag auch mit einem ernsthaften Rechtsbindungswillen abgeschlossen wurde und nicht davon auszugehen ist, dass die wegen Zahlungsverzug ausgesprochene Kündigung der Antragstellerin vom Vermieter auch durchgesetzt wird, d. h. sie mit dem Eintritt von Wohnungslosigkeit zu rechnen hat.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. März 2020 (L 3 AS 3212/18):
Zur Bejahung des Anspruchs auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II in einer Höhe von monatlich EUR 97,50 wegen der von einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten regelmäßig durchzuführenden Fahrten zur in einem über 20 km entfernt liegenden Ort stattfindenden Methadon-Substitutionsbehandlung.
Es handelt sich hier um einen unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II. Nach ärztlicher Einschätzung ist bei der Antragstellerin eine tägliche Methadon-Substitution erforderlich.
Die der Antragstellerin wegen dieser Substitutionsbehandlung täglich entstehenden Fahrkosten gehen in dieser Häufigkeit weit über den „normalen“ Regelbedarf (§ 20 SGB II) hinaus. Alg II-Empfängern entstehen wegen einer medizinischen Behandlung nicht täglich Fahrkosten. Dieser Sonderfall ist bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt. Dieser behandlungsbedingt entstehende Mehrbedarf ist auch unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II, weil dieser entsprechend hohe Bedarf weder durch der Antragstellerin zur Verfügung stehende Einsparmöglichkeiten gedeckt noch über Zuwendungen dritter Personen oder Institutionen finanziert werden kann.
Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen werden gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V von der gesetzlichen Krankenkasse nur im besonders begründeten Ausnahmefall übernommen, der hier aber nicht vorliegt. Allgemeine Fahrkosten, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung einer ambulanten medizinischen Behandlung entstehen, die nicht als eine Krankenbehandlung nach § 27 SGB V aufzufassen ist, trägt die gesetzliche Krankenversicherung nicht.
Ein Einsatz der im Regelbedarf berücksichtigten Ansparbeträge zur Finanzierung dieser Fahrkosten würde zu einer Aufzehrung dieser Ansparbeträge und somit zu einer ständigen Unterdeckung dieser Bedarfspositionen führen. Grundsätzlich kann ein auf § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II gestützter Anspruch auf Übernahme notwendiger Fahrkosten lediglich in dem Umfang geltend gemacht werden, der für eine Monatsfahrkarte des öffentlichen Personennahverkehrs aufzubringen ist.
BSG, Urteil vom 30. April 2020 (B 8 SO 1/19.R):
Bei der Bestimmung der Einkommensgrenze nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII bei der Erbringung von Leistungen in einer stationären Einrichtung sind die Kosten für Heizung ebenfalls zu berücksichtigen. Dies gebietet die herausgehobene Stellung des Wohnens als wesentlicher Teil des physischen Existenzminimums. Ohne eine angemessene Beheizung ist eine Wohnung nicht bewohnbar.
Sozialgericht Münster, Urteil vom 8. Juni 2020 (S 20 AY 3/17):
Die Rechtsgrundlage für die Übernahme notwendiger Dolmetscherkosten bei einer von der gesetzlichen Krankenkasse bewilligten ambulanten psychotherapeutischen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V) einer nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigten Person geht aus § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII hervor.
Diese Bestimmung gestattet im Rahmen einer gebotenen individualisierenden Bedarfsdeckung eine abweichende Bemessung des Regelbedarfs.
Entsprechendes gilt gerade dann, wenn keine Therapeutinnen und Therapeuten zur Verfügung stehen, mit denen die Antragstellerin in ihrer Muttersprache kommunizieren kann, und die Antragstellerin sich während ihres bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine ausreichenden Deutschkenntnisse aneignen konnte.
Die Leistungsbeschränkung gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gelangt hier nicht zur Anwendung, weil die gesetzliche Krankenversicherung für die Übernahme notwendiger Dolmetscherkosten keine Zuständigkeit hat. Hier liegt auch keine sonstige Lebenslage im Sinne des § 73 Satz 1 SGB XII vor, weil dieser Bedarf vom Regelbedarf (§ 28 SGB XI)I) mit umfasst ist.
BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 (B 4 AS 7/20.R):
Die Erstattung von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen im Rahmen von Wohnraummietverhältnissen stellt ein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar.
Einem Alg II-Bezieher hier zugeflossene Erstattungszahlungen sind bedarfsmindernd zu berücksichtigen, wenn die Anweisung dieser Geldmittel auf eine Zeit zurückzuführen ist, in der keine Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II bezogen wurden.
Der Gesetzgeber unterliegt aus Gleichheitsgrundsätzen nicht der Verpflichtung, die aus § 22 Abs. 3, 2. HS SGB II hervorgehende Ausnahmebestimmung auch auf Rückerstattungen aus Zeiten des Nichtleistungsbezugs zu erstrecken. Das Selbstverständnis dieser Ausnahmenorm besteht darin, dass diejenigen Leistungsbezieher, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht anerkannt erhielten und deshalb diese Kosten aus ihrem Regelbedarf finanzierten, im weiteren Verlauf des Alg II-Bezugs ihren Regelbedarf bedingt durch hier erhaltene Rückerstattungen im Ergebnis nicht „gekürzt“ erhalten.
Die Legislative hat bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit eines Hilfeempfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Spielraum, wenn Regelungen darüber getroffen werden, ob und in welchem Umfang das Einkommen oder Vermögen der bedürftigen Person auf deren individuellen Bedarf angerechnet wird.
Bei Kapitalzuflüssen, die auf Zeiten, in denen keine Mittellosigkeit geltend gemacht wurde, zurückzuführen sind (wie z. B. bei Nachzahlungen aus einem früheren Arbeitsverhältnis, Steuerrückerstattungen oder Beitragsrückerstattungen von privaten Krankenversicherungsträgern), handelt es sich um ein vom Jobcenter bedarfsmindernd zu berücksichtigendes Einkommen.
BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 (B 4 AS 10/20.R):
Der Erlass eines endgültigen Leistungsbescheids stellt in Fällen nach den §§ 19 ff. SGB II regelmäßig kein taugliches Instrumentarium dar, wenn hier objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung der Einkommenssituation besteht, z. B. weil die allein erziehende Mutter einer Tätigkeit als Abrufarbeitnehmerin mit einer Arbeitszeit von mindestens drei Stunden pro Woche nachgeht und deshalb ein stets schwankendes Einkommen erzielt.
Bei diesen Gegebenheiten hat die Bekanntgabe eines endgültigen anstelle eines vorläufigen Bescheids als von Anfang an rechtswidrig aufgefasst zu werden. Für die Rücknahmeentscheidung des Jobcenters geht die anwendbare Rechtsgrundlage aus § 45 SGB X („Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts“) hervor.
Stützt der SGB II-Träger seine Rücknahmeverfügung zunächst in fehlerhafter Weise auf § 48 SGB X („Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse“), sind aber für den Erlass des Verwaltungsakts die Voraussetzungen der zutreffenden Ermächtigungsgrundlage erfüllt, dann liegt lediglich eine unzutreffende Begründung dieser Verfügung vor.
Weil die §§ 45 und 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das „Auswechseln“ dieser Rechtsgrundlage hier grundsätzlich zulässig.
Für die Bejahung der einem Vertrauensschutz entgegen stehenden Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X reicht es aus, wenn sich die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Leistungsempfängerin darauf bezieht, dass bei der Bewilligungsentscheidung des Jobcenters das schließlich tatsächlich zugeflossene Einkommen behördlicherseits noch nicht (vollständig) berücksichtigt wurde.
Sozialgericht Frankfurt (Main), Beschluss vom 10. Juli 2020 (S 16 AS 716/10.ER):
Zur Bejahung des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Darlehens in Höhe von EUR 500,- einer bedürftigen Oberstufenschülerin gegenüber für die Anschaffung eines Computers (Laptops), eines Druckers, eines Scanners, eines Software-Pakets „Microsoft“, eines Head-Sets sowie weiterer notwendiger Zubehörteile für den regelhaften Betrieb dieses Computers.
Ein Computer (Laptop) unterfällt nicht dem persönlichen Schulbedarf gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der fortlaufend fällig wird. Hier wird ein einmaliger Bedarf geltend gemacht, der für den Besuch der gymnasialen Oberstufe unabdingbar notwendig ist, auch nicht durch Zuwendungen anderer Personen oder Institutionen gedeckt wird und Kosten in erheblichem Umfang aufwirft.
§ 21 Abs. 6 SGB II gelangt hier nicht zur Anwendung, denn in diesem Zusammenhang liegt kein „nicht nur einmaliger Bedarf“ im Sinne dieser Bestimmung vor. Für einmalige, regelbedarfsrelevante Bedarfe sieht § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausdrücklich die darlehensweise Leistungsgewährung vor.
Amtsgericht Nordhausen, Urteil vom 24. Februar 2020 (31 Ds 360 Js 61538/18):
Keine Strafbarkeit wegen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) zu Lasten des öffentlichen Trägers, wenn ein Asylbewerber bei der für die Durchführung des AsylbLG zuständigen Behörde Leistungsanträge unter Nennung falscher Personalien stellte, um über seine wahre Identität zu täuschen.
Der auf diese Weise bewirkte Irrtum war nicht ursächlich für eine amtlicherseits rechtsgrundlos vorgenommene Vermögensverfügung, der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG.
Diese Leistungen wären dem Antragsteller auch bei Kenntnis seiner wahren Identität bewilligt worden.
Von maßgebender Bedeutung ist hier nur, ob die nach § 1 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigte Person über einen aktuell gültigen Aufenthaltstitel verfügt und im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Leistungsträgers lebt.
Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 26. Juni 2020 (S 7 AL 319/18):
Die Vermutungswirkung des § 139 Abs. 2 Satz 1 SGB III greift bei einer Immatrikulation für ein Hochschulstudium zwar grundsätzlich ein, wird aber entsprechend § 139 Abs. 2 Satz 2 SGB III widerlegt, wenn in der ersten Zeit (hier: vom 01.09.2018 bis zum 19.09.2018) an dieser Ausbildungsstätte keinerlei (Lehr-) Veranstaltungen stattgefunden haben, d. h. der Auszubildende dort keinen Verpflichtungen nachzukommen hatte. Während dieser Eingangsphase ist der Antragsteller an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht gehindert.
Eine Verfügbarkeit nach § 139 SGB III kann anerkannt werden, wenn antragstellerseitig die Glaubhaftmachung erfolgt, dass vor dem Beginn der Lehrveranstaltungen keine Beanspruchung durch das Studium erfolgt.
Sozialgericht Ulm, Gerichtsbescheid vom 30. Juni 2020 (S 10 AS 2325/17):
Ein Bedarf an einer neuen Gleitsichtbrille darf nicht als ein Härtefallbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II aufgefasst werden, wenn keine Sonderkonstellation vorliegt, der gemäß mit einem oftmals wiederkehrenden Brillenbedarf (der innerhalb von sechs Monaten bzw. einem Jahr nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt) zu rechnen ist, und die bisherige Brille „noch einige Zeit“, d. h. nicht über einen lediglich kurzen Zeitraum hinweg, bestimmungsgemäß weiterverwendet werden kann.
Eine Brille stellt grundsätzlich ein therapeutisches Gerät im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II dar. Diese Norm lässt sich aber nicht auf die Anschaffung einer Gleitsichtbrille analog anwenden. Eine vollständige Neuanschaffung als Ersatz für eine bereits bestehende und bestimmungsgemäß benutzbare Brille kann nicht mit einer Reparatur gleichgesetzt werden.
Die für die Anschaffung von Brillen entstehenden Ausgaben sind prinzipiell dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 Abs. 1 SGB II) zuzuordnen. Hier handelt es sich um langlebige Gebrauchsgüter. Die Gewährung eines Darlehens gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II scheidet aus, wenn die Anschaffung einer neuen Gleitsichtbrille bereits aus medizinischer Sicht nicht als zwingend notwendig aufgefasst zu werden hat, d. h. es sich hier um keinen unabweisbaren Bedarf handelt.
Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 3. Juli 2020 (S 39 AY 55/20.ER):
Bejahung erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber in § 3a AsylbLG („Bedarfssätze der Grundleistungen“) geregelten besonderen Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte (hier: nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG), die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder vergleichbaren Unterkünften untergebracht sind.
Es ist nicht erwiesen, dass dieser Antragsteller hinsichtlich seines notwendigen persönlichen Bedarfs in einer Zweckgemeinschaft lebt, bei der ein gemeinsames Wirtschaften vorliegt.
Diese Situation wird durch die aktuellen „Corona-Beschränkungen“ und die in diesem Zusammenhang erlassenen Kontaktverbote noch zusehends verschärft. Mit diesen Bestimmungen ist ein gemeinschaftliches Leben verschiedenster Personen auf engem Raum grundsätzlich nicht vereinbar.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. April 2020 (1 BvR 2310/19):
Bejahung der Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG), weil der schwerbehinderte Beschwerdeführer vom Sozialgericht vor seiner auf Antrag des Sozialhilfeträgers verkündeten Kostenentscheidung (§ 193 Abs. 1 Satz 3 SGG) nicht angehört wurde, d. h. der behinderte Schüler über keine Möglichkeit verfügte, sich zu den für diesen Beschluss maßgebenden rechtlichen Erwägungen zu äußern.
Das Sozialgericht hatte sich auch im Anhörungsrügeverfahren nicht mit dem (rechtlichen) Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, weil dieses Gericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausging, Art. 103 Abs. 1 GG würde rechtliches Gehör nur hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage der richterlichen Entscheidung gewähren.
Es war auch hier nicht ausgeschlossen, dass der erneute Vortrag des Beschwerdeführers die Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls, hier: der Begleitung in der offenen Ganztagesschule, hätte erreichen können.
BSG; Urteil vom 27. Februar 2020 (B 8 SO 18/18.R):
Zum Anspruch eines mit einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom) und einer expressiven Sprachentwicklungsstörung betroffenen, schwerbehinderten Kindes (GdB: 80; Merkzeichen „B“, „G“ und „H“) auf Erstattung von Fahrkosten als notwendiger Bestandteil der bindend bewilligten teilstationären Eingliederungsleistung (§§ 53 ff. SGB XII a. F.) in einem 12 km von seinem Wohnort entfernt liegenden integrativen Kindergarten, um dort besondere heilpädagogische Leistungen zu erhalten.
Entstehen im Zuge der Durchführung einer solchen Eingliederungshilfemaßnahme notwendigerweise Fahrkosten, dann sind diese Aufwendungen als deren notwendiger Bestandteil vom Sozialhilfeträger zu übernehmen, sofern dies unerlässlich ist, um die Ziele der Eingliederungshilfe durch die Ermöglichung einer speziellen Maßnahme zu erfüllen.
Dies ist dann der Fall, wenn das behinderte Kind den über 12 km langen Weg zum Kindergarten und zurück nicht alleine und zu Fuß bewältigen kann, und dem Verweis auf einen näher gelegenen Kindergarten entgegen steht, dass die bewilligten heilpädagogischen Maßnahmen ausdrücklich für einen integrativen Kindergarten bindend zuerkannt worden sind.
Die Bewilligung einer heilpädagogischen Maßnahmen in einer bestimmten Einrichtung ist wegen der Entscheidung über die notwendigerweise verbundenen Fahrkosten nach dorthin vorgreiflich.
Verwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 16. April 2020 (11 E 1630/20):
§ 15 Abs. 1, 2. Alt. der „Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS – CoV – 2 in der Freien und Hansestadt Hamburg (HmbSARS – CoV – 2 – EindämmungsVO)“ vom 09.04.2020 kann es einer Mutter von entsprechend § 42 SGB VIII vom Jugendamt in Obhut genommenen Kindern nicht verbieten, ihre in eine Kinderschutzeinrichtung aufgenommenen Kinder zu besuchen.
Ein solches Verbot genügt nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 GG und verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Eine weitgehende Suspendierung des Elterngrundrechts durch einen Ausschluss des Umgangs mit den Kindern ist unzulässig. Es handelt sich hier um den stärksten Eingriff in die Rechte des Erziehungsberechtigten, der nur bei einem Versagen der Erziehungsberechtigten oder bei einer den untergebrachten Kindern drohenden Verwahrlosung gerechtfertigt ist.
Ein entsprechend pauschales Verbot führt zu einem kompletten Kontaktabbruch zwischen den Eltern und ihren Kindern, ohne dass im Einzelfall z. B. nach der Qualität der bisherigen Eltern-Kind-Beziehung differenziert wird.
Quelle: Kommentar – Dr. Manfred Hammel