Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 16. Oktober 2019 (S 26 SO 23/19.ER). Die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 41 Abs. 3 SGB XII kann aus einem mehr als zehnjährigen Bezug von Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB XII, während dem der Sozialhilfeträger keine Feststellungen zum Leistungsvermögen und zur Dauer der Erwerbsminderung des Antragstellers tätigte, folgen.
§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI („Befristung“) ist hier analog heranziehbar. § 45 SGB XII („Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung“) hat ebenfalls Gültigkeit, wenn ein Antragsteller Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß den §§ 27 ff. SGB XII bezieht, da ansonsten diese Norm keinen Anwendungsbereich hätte. Bei einer Leistungsberechtigung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit den §§ 41 ff. SGB XII bedarf es keiner Feststellung des Umfangs der Erwerbsfähigkeit mehr.
Wenn die dauerhaft volle Erwerbsminderung wahrscheinlich ist, und der Antragsteller bereits seit ca. zehn Jahren Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB XII erhält, dann kann diese Person nicht auf Leistungen gemäß den §§ 19 ff. SGB II verwiesen werden, und es gelangt § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II gerade auch mangels eines vorherigen Bezugs von Alg II nicht zur Anwendung.
Wenn zwischen sämtlichen beteiligten Sozialleistungsträgern ein Konsens zum Übergang eines Antragstellers in das Hilfesystem des SGB XII besteht, bedarf es keines Gutachtens des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend § 44a Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II.
Sozialgericht Reutlingen, Gerichtsbescheid vom 14. November 2019 (S 3 AS 668/19):
Ein von einem Alg II-Empfänger bewohntes Reihenhaus übersteigt die angemessene Wohnungsgröße für eine alleinstehende Person in einer Höhe von 45 qm deutlich. Dies führt aber nur dann zu einer Unangemessenheit unterkunftsbezogener Aufwendungen, wenn diese für das Eigenheim entstehenden Aufwendungen die Gesamtmiete für eine angemessen große Wohnung tatsächlich übersteigen.
In Ermangelung eines schlüssigen Konzepts des Jobcenters zur Datenerhebung und –auswertung für die gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durchzuführende, abstrakte Angemessenheitsprüfung der Kosten der Unterkunft für einen Hilfebedürftigen im konkreten Wohnort ist zur Bestimmung der Angemessenheit auf die Tabellenwerte des § 12 WoGG („Höchstbeträge für Miete und Belastung“) zuzüglich eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 v. H. zurückzugreifen. Monatlich in einer Höhe von EUR 449,10 für Immobiliareigentum fällig werdende Darlehenszinsen übersteigen die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht.
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 23. Dezember 2019 (S 50 AY 166/19.ER):
Tatbestandlich dem § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG unterfallende Ausländer mit besonderem Schutzstatus sind mangels einer objektiv zumutbaren Ausreisemöglichkeit im Sinne des § 1a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG grundsätzlich nicht von Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG ausgeschlossen, solange das Verlassen des Bundesgebiets – hier: nach Griechenland – im Einzelfall nicht vertretbar ist.
Sozialgericht Cottbus, Beschluss vom 28. Januar 2020 (S 21 AY 34/19.ER):
§ 1a Abs. 7 AsylbLG sieht eine Anspruchseinschränkung vor, die nicht an ein antragstellerseitg gezeigtes Fehlverhalten anknüpft, sondern einzig die nicht gebilligte europäische Sekundärmigration sanktioniert, ohne dabei zu berücksichtigen, aus welchen Gründen diese Einreise in das Bundesgebiet erfolgte, z. B. eine Familienzusammenführung beabsichtigt ist, ein schützenswertes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK besteht, oder der jeweilige EU-Mitgliedsstaat (hier: Griechenland) die internationalen Mindeststandards an ein effizientes Asylverfahren, zu denen auch eine ausreichende Versorgung von Asylbewerbern zählt, überhaupt im ausreichenden Maße erfüllt. Die In Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Einer Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG hat stets ein pflichtwidriges Verhalten der nach § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Person vorangegangen zu sein.
Eine derartige Leistungskürzung kommt nicht in Betracht, wenn die Rückkehr in den für das Asylverfahren eigentlich zuständigen EU-Staat aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist.
Dies gilt gerade dann, wenn eine Abschiebung wegen einer Schwangerschaft nicht durchgeführt werden kann, weil der Antragstellerin als einer besonders schwachen Person in Griechenland im Fall ihrer sofortigen Rückkehr eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung drohen könnte. Hier liegt kein pflichtwidriges Verhalten vor, das Eingriffe in das menschenwürdige Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) rechtfertigen könnte.
Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 4. Februar 2020 (S 20 AY 86/19.ER):
Es ist davon auszugehen, dass die besondere Eingruppierung von nach § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen, die nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG, in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 AsylG oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren Unterkunft untergebracht sind (§ 3a Abs. 1 Nr. 2b), Abs. 2 Nr. 2b) AsylbLG), wegen eines Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungswidrig aufgefasst zu werden hat.
Migrationspolitische Erwägungen, die Asylbewerbern und Flüchtlingen gewährten Hilfe niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen nach Deutschland durch ein hier im internationalen Vergleich recht hohes Unterstützungsniveau zu verhindern, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Dies gilt gerade dann, wenn Antragstellern kein rechtsmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden kann.
Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 18. Februar 2020 (S 25 AY 7/20.ER):
In Bezug auf § 1a Abs. 7 AsylbLG bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Diese Norm ist ausschließlich auf die Durchsetzung eines asyl- bzw. ausländerrechtlichen Konzepts und nicht an leistungsrechtliche Bedarfslagen ausgerichtet.
Im Rahmen der Umsetzung des § 1a AsylbLG ist es unerheblich, ob eine nach § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigte Person durch eine Berichtigung ihres Verhaltens (z. B. eine Ausreise) eine verfügte Einschränkung ihres Existenzminimums abwenden kann. Dies lässt es als sehr zweifelhaft auffassen, ob hier die Anordnung einer Leistungsminderung verhältnismäßig sein kann.
Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 20. Februar 2020 (S 25 AY 3/20.ER):
Es sind deutliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1a Abs. 7 AsylbLG angebracht, wenn es im Rahmen der Umsetzung der Anspruchseinschränkung unerheblich ist, ob eine gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigte Person diese Einschränkung ihres Existenzminimums durch eine Änderung ihres Verhaltens (z. B. eine Ausreise) abwenden kann.
Ein Bestehen einer Ausreisepflicht und –möglichkeit hat behördlicherseits bei der Anwendung des § 1a Abs. 7 AsylbLG nicht geprüft zu werden. Diese Norm erfasst ebenfalls Personen, die über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG verfügen. Eine bei diesen Gegebenheiten dennoch angeordnete Leistungsminderung kann kaum verhältnismäßig sein, wenn gerade nicht feststeht, dass die betr. Asylbewerber zur Ausreise verpflichtet sind, oder ihnen die Ausreise möglich ist.
Hier ist häufig ein Abwarten auf die Abschiebung (§§ 34 ff. AsylG) erforderlich, ohne dass Asylbewerber wieder ausreisen können, oder ihnen in dieser Zeit eine (legale) Möglichkeit zur Verfügung steht, ihren Bedarf an existenzsichernden Mitteln auf eine andere Art und Weise zu decken. Im Einzelfall lässt sich deshalb nur zu häufig der Gesetzeszweck des früheren Verlassens des Bundesgebiets nicht verwirklichen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 29. August 2019 (B 14 AS 42/18.R):
Zahlungen aus einer privaten Versicherung, derzufolge im Fall der Arbeitslosigkeit eine Bezahlung von Darlehensraten durch diese Versicherung für einen Zeitraum von zwölf Monaten erfolgen soll, stellen kein vom Jobcenter entsprechend § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II bedarfsmindernd zu berücksichtigendes Einkommen dar.
Diese Zahlungen führten nicht zu einer Verfügung über zur Existenzsicherung „bereite Mittel“ der Antragsteller und die Rückbuchung der zuvor bei ihnen abgebuchten Darlehensrate in keiner Weise zu einer (weiteren) gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Einnahme.
Erforderlich für die Qualifikation einer Einnahme als ein bereites Mittel ist insbesondere, dass diese Gelder im Monat des Zuflusses den im Einzelnen begünstigten Personen tatsächlich frei zur Verfügung stehen und zur Existenzsicherung direkt eingesetzt werden können.
Ist der aus einer Einnahme resultierende Wertzuwachs im Zeitpunkt des Zuflusses aus Rechtsgründen nicht als ein bereites Mittel problemlos abrufbar, dann steht dies einer Berücksichtigung dieses Betrags als ein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ebenfalls dann entgegen, wenn die leistungsberechtigte Person auf die Realisierung dieses Wertes in der Folgezeit hinwirken kann.
Bei einer Versicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen der Arbeitslosigkeit ersetzt die Auszahlung der fällig werdenden Versicherungsleistung die Begleichung der Darlehensraten. Durch das Zusammenwirken von darlehensgebender Bank und Versicherungsgesellschaft wird hier sichergestellt, dass die Versicherungsleistung von den Antragstellern nicht zur Existenzsicherung verwendet werden kann. Der Wertzuwachs auf dem Darlehenskonto führt nicht zu frei verfügbaren Mitteln der Antragsteller.
Dem im SGB II grundsätzlich geltenden Monatsprinzip und der modifizierten Zuflusstheorie entsprechend hat nachgezahltes Einkommen (wie z. B. eine Rentennachzahlung) vom Jobcenter regelmäßig im Zuflussmonat und nicht in Bezug auf den Zeitabschnitt, für den diese Mittel nachgezahlt werden, eine Berücksichtigung zu erfahren (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB II). Hierdurch soll einem Doppelbezug von Sozialleistungen entgegen gewirkt werden.
BSG, Urteil vom 29. August 2019 (B 14 AS 49/18.R):
Die Jobcenter sind ermächtigt, vor der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 SGB II eine isolierte Feststellung zur Sozialwidrigkeit des Verhaltens eines Antragstellers zu treffen. Ein SGB II-Träger darf vor dem Erlass eines Leistungsbescheids hier gesondert durch einen Grundlagenbescheid über die Sozialwidrigkeit im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II des einem Antragsteller vorgehaltenen Verhaltens entscheiden.
Hierfür spricht neben dem Erfordernis einer zügigen Klärung des Vorwurfs des sozialwidrigen Verhaltens und der hiermit verbundenen Warnfunktion auch die Verhinderung, dass bei zeitlich gestaffelten Leistungsbescheiden in nachfolgenden Verfahren unterschiedliche Spruchkörper zu jeweils unterschiedlichen Bewertungen des maßgebenden Verhaltens des Antragstellers gelangen, wenn hierüber in jedem Bescheid gesondert zu entscheiden wäre.
Ein Jobcenter ist in entsprechenden Fällen aber nicht berechtigt, vorab abschließend Ersatzpflichten dem Grunde nach zu verfügen. Voraussetzung dem Grunde nach ist hier gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II neben dem sozialwidrigen Verhalten als solchem ebenfalls die Ursächlichkeit dieses Verhaltens für den Leistungsbezug, weil der Ersatzanspruch des Jobcenters nur geltend gemacht werden kann, soweit durch dieses Verhalten eine Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB II herbeigeführt im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II worden ist, und überwiegende konkurrierende Ursachen für den Leistungsbezug nicht feststellbar sind (§ 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II).
Nicht jede Verwirklichung eines nach § 31 SGB II sanktionsbewehrten Tatbestands begründet zugleich einen Ersatzanspruch gemäß § 34 SGB II. Dies setzt einen grundsätzlich gesteigerten Verschuldensvorwurf voraus, der den unterschiedlichen Belastungswirkungen der §§ 31 ff. SGB II hier und des § 34 SGB II dort voll gerecht wird.
Diese Bestimmungen stehen in einem besonderen Stufenverhältnis zueinander, demzufolge bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Jobcenter eine Minderung von Leistungen entsprechend den §§ 31 a und b SGB II zu verfügen und lediglich in einem besonders begründeten Fall zusätzlich einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II geltend zu machen hat.
In diesem Sachzusammenhang reicht es nicht aus, wenn ein SGB II-Träger darauf verweist, der Antragsteller habe sich durch häufige, zur Kündigung seines öffentlich geförderten Berufsausbildungsverhältnisses führende Fehlzeiten vertragswidrig verhalten und damit dem Grunde nach einen Anlass zur Verhängung einer Sperrzeit nach § 159 SGB III in Verbindung mit § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II gegeben. Entsprechendes könnte nur vertreten werden, wenn der Antragsteller bedingt durch sein während des Ausbildungsverhältnisses gezeigtes Verhalten es auf eine Beendigung dieser mit öffentlichen Mitteln geförderten außerbetrieblichen Ausbildung regelrecht angelegt hat.
BSG, Urteil vom 29. August 2019 (B 14 AS 50/18.R):
Die Einreise von Antragstellern in das Bundesgebiet nach der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit im bisherigen Aufenthaltsstaat und nach der Kündigung der dortigen Arbeitsverhältnisse ohne jedes vorherige Bemühen um den notwendigen Lebensunterhalt deckende Erwerbsmöglichkeiten in Deutschland begründet keine Ersatzansprüche des Jobcenters gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Der einen solchen Anspruch tragende Vorwurf der Sozialwidrigkeit eines antragstellerseitig gezeigten Verhaltens ist darin begründet, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) im Sinne eines objektiven Unwerturteils in einer zu missbilligenden Art und Weise sich selbst oder ihre unterhaltsberechtigten ‚Angehörigen in die Lage gebracht haben, existenzsichernde Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen.
Aus dem Grundsatz der Eigenverantwortung ist aber nicht die Obliegenheit ableitbar, sich als erwerbsfähiger deutscher Staatsangehöriger zunächst um eine Existenzgrundlage im Bundesgebiet zu bemühen, bevor eine im Ausland ausgeübte Beschäftigung aufgegeben und im Bundesgebiet ein gewöhnlicher Aufenthalt wirksam begründet wird.
Eine derartige Mobilität steht unter dem Schutz des besonderen Freiheitsrechts auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG, das auch das Recht umfasst, als deutscher Staatsangehöriger jederzeit zur Wohnsitznahme frei in das Bundesgebiet einzureisen. Alles andere zielt mittelbar darauf ab, im Ausland lebende, erwerbsfähige deutsche Staatsangehörige davon abzuhalten, ohne eine ausreichende Existenzgrundlage einen Wohnsitz im Bundesgebiet zu nehmen. Zu einer derartigen Zugangssteuerung ermächtigt das SGB II die Jobcenter nicht.
BSG, Urteil vom 30. Oktober 2019 (B 4 KG 1/19.R):
Im Zusammenhang mit der Bewilligung eines Kinderzuschlags entsprechend § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG ist eine der Familie bewilligte Wohngeldnachzahlung stets in dem Monat von der Bundesagentur für Arbeit zu berücksichtigen, in dem diese nach dem WoGG gewährten Mittel den anspruchsberechtigten Personen tatsächlich zufließen.
Die Feststellung, dieser Kinderzuschlag verhindere eine Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der jeweiligen Bedarfsgemeinschaft, verlangt von den Familienkassen der BA für Arbeit eine einzig an den Bestimmungen des SGB II ausgerichtete Bedürftigkeitsprüfung. § 6a BKGG stellt insoweit bei der Ermittlung des bedarfsmindernden Einkommens uneingeschränkt auf den Einkommensbegriff des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ab.
Es besteht keine abweichende gesetzliche Vorgabe im Hinblick auf die zeitliche Berücksichtigung von Wohngeld bei der Bewilligung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG. Eine vom tatsächlichen Zufluss abweichende Einkommensberücksichtigung stünde hier im Widerspruch zur Parallelität der Rechtsanwendung in Bezug auf § 6a BKGG hier und dem SGB II dort.
Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 (S 53 AY 107/19.ER):
Erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität des § 3a AsylbLG (Bedarfssätze der Grundleistungen), weil dort der Bundesgesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) vertretenen Vorgaben nicht beachtet und damit verfassungsgemäß umgesetzt hat.
Über § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG bzw. Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG verweist der Bundesgesetzgeber in Aufnahme- oder in Gemeinschaftseinrichtungen lebende, alleinstehende Asylbewerber auf freiwillige Leistungen Dritter, denn die Legislative erwartet hier ein gemeinsames Wirtschaften innerhalb der Schicksalsgemeinschaft einer entsprechenden Sammelunterkunft.
Die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist an dieser Stelle aber nicht durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert.
Die Einführung der besonderen Bedarfsstufe des § 3a AsylbLG gründet auf keiner realitätsgerechten und schlüssigen Berechnung. Ein alleinstehender Flüchtling, der in einer Sammelunterkunft untergebracht ist, befindet sich dort offensichtlich nicht in einer familiären Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft.
Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 8. Januar 2020 (S 10 AY 40/19.ER):
Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 2 bzw. 3 AsylbLG setzt unter Berücksichtigung der einschneidenden Rechtsfolgen dieser Sanktionierung voraus, dass z. B. der gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigten Person gegenüber eine konkrete, zumutbare und erfüllbare Mitwirkungshandlung aufgegeben zu sein hat, die aus von diesem Menschen zu vertretenden Gründen aber nicht ausgeführt wurde.
Ein von der zuständigen öffentlichen Stelle getätigter Verweis auf eine allgemeine, von ihr zuvor ergangene Aufforderung (z. B. zur umgehenden Passbeschaffung) reicht hier nicht aus.
Wenn eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG anspruchsberechtigte Person behördlicherseits aufgefordert wurde, Dokumente vorzulegen, die geeignet sind, die Identität zweifelsfrei zu belegen, dieser Antragsteller hieraufhin zum Ausdruck brachte, er wäre weder im Besitz eines Reisepasses noch einer ID-Card, und der zuständige öffentliche Träger an dieser Stelle nicht konkret benennt, welche weiteren Schritte die Ordnungsbehörde in diesem Zusammenhang für erforderlich hält, dann kann dieser im Bundesgebiet nur geduldeten Person eine weitere, einzig von ihr zu verantwortende Inaktivität nicht vorgehalten werden.
Die Ausländerbehörde unterliegt hier der Verpflichtung, den Antragsteller konkret zu Handlungen aufzufordern, die sie für erforderlich hält, damit die für eine Ausreise erforderlichen Dokumente rasch vorliegen. Es darf an dieser Stelle dem Antragsteller nicht gänzlich unklar bleiben, auf welchem Wege er dieser amtlichen Aufforderung zu entsprechen hat.
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 31. Januar 2020 (S 37 AS 13932/16):
Eine Meldeaufforderung (§ 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hat einem in der Ladung konkret bezeichneten, nach § 309 SGB III zulässigen Zweck zu dienen (z. B. die Besprechung von Bewerbungsaktivitäten – § 309 SGB III) und klar zu bestimmen, an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt eine leistungsberechtigte Person beim Jobcenter zu sein hat.
Kein Meldeversäumnis gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt vor, wenn aus der mit einer Meldeaufforderung zusammen abgegebenen Rechtsfolgenbelehrung nicht auch der Hinweis hervorgeht, dass der Meldepflicht ebenfalls nachgekommen wird, wenn die meldepflichtige Person sich zu einer anderen Zeit am selben Tag beim Jobcenter einfindet, und der Zweck der Meldung an diesem Tag noch erreicht werden kann (§ 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
BSG, Urteil vom 11. Juli 2019 (B 14 AS 23/18.R):
In die Bemessung existenzsichernder Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II sind bei einer abwechselnden Betreuung gemeinsamer minderjähriger Kinder bei beiden Elternteilen nach dem familienrechtlichen Wechselmodell neben deren anteiligen Unterkunftskosten unabhängig vom Alter der Kinder vom Jobcenter beim Kindsvater ebenfalls ein hälftiger Mehrbedarf bei Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II einzustellen und sein Einkommen monatsweise bedarfsmindernd zu berücksichtigen.
Ein entsprechend anteiliger Mehrbedarf ist dann anzuerkennen, wenn sich getrennt lebende Eltern bei der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes in größeren, mindestens eine Woche umfassenden Intervallen abwechseln und sich die hier entstehenden Kosten in etwa hälftig teilen.
Betreuen dauernd getrennt lebende Eltern ihre Kinder gleichmäßig im Sinne eines familienrechtlichen Wechselmodells, haben die Kinder einen entsprechend § 22 Abs. 1 SGB II grundsicherungsrechtlich anzuerkennenden Wohnbedarf in den Wohnungen der beiden Elternteile.
Bei derartigen Gegebenheiten ist es unvertretbar, wenn das Jobcenter jeweils den gesamten Unterkunftsbedarf einzig bei einem Elternteil berücksichtigt. Bei einem solchen Vorgehen verfügt ein Kind, obwohl es in zwei verschiedenen Wohnungen aufwächst, grundsicherungsrechtlich über keinen eigenen Unterkunftsbedarf. Dies entspricht nicht den bestehenden Tatsachen. Es bedarf hier einer klaren Zuordnung der einzelnen Bedarfspositionen im Hinblick auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, um deren individuellen Leistungsanspruch bestimmen zu können.
BSG, Urteil vom 18. Juli 2019 (B 8 SO 6/18.R):
Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) und Vermögen (§§ 90 ff. SGB XII) des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach dem SGB XII übersteigen, sind bei der Bedarfsberechnung gemäß den §§ 19 Abs. 2 und 20 Satz 1 SGB XII zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 1 Satz 1, 1. HS SGB XII).
Personen, die in lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft leben, dürfen ebenfalls hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII nicht besser gestellt werden als Ehepartner.
Lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften sind in diesem Sachzusammenhang nach denselben Grundsätzen zu beurteilen wie eheähnliche Gemeinschaften. Die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft entspricht nach ihren wesentlichen Merkmalen einer eheähnlichen Gemeinschaft mit dem einzig bedeutsamen Unterschied, dass es sich hier um gleichgeschlechtliche Partner handelt.
Eine Ungleichbehandlung eheähnlicher und lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaften lässt sich vor dem Hintergrund des aus Art. 3 Abs. 1 GG fließenden allgemeinen Gleichheitssatzes nicht rechtfertigen. Die wesentlichen typusbildenden Merkmale beider Gemeinschaften sind identisch, nämlich wechselseitige Fürsorge und Unterstützung sowie die Übernahme von Verantwortung füreinander.
LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23. Dezember 2019 (L 9 AY 171/19.B.ER):
Bei von Asylbewerbern für die Benutzung der ihnen zugewiesenen Notunterkunft geforderten Gebühren handelt es sich um öffentlich-rechtliche Forderungen, die einem ernstlichen Mietzinsverlangen zumindest gleichstehen.
Selbst wenn diese Aufwendungen der Höhe nach unangemessen sein sollten, sind sie entsprechend § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII von der zuständigen Sozialbehörde für eine Übergangszeit von „in der Regel längstens sechs Monaten“ nach Aussprache der hier erforderlichen Kostensenkungsaufforderung weiterhin anzuerkennen.
Wenn im Rahmen der Aussprache einer Wohnsitzauflage gemäß § 61 Absatz 1d Satz 1 AufenthG die nach § 1 Abs. 1 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen verpflichtet worden sind, ihren Wohnsitz in einer bestimmten Kommune zu nehmen, obliegt es der hier zuständigen Behörde, diese Antragsteller bei den erforderlichen Kostensenkungsbemühungen zu unterstützen und ihnen gegenüber Beistand zu leisten.
Dies gilt gerade bei einer festgesetzten Benutzungsgebühr in einer Höhe von EUR 36,38 pro qm und Monat: Ein Betrag, der wahrscheinlich nicht nur kostendeckend im Sinne des § 6 Abs. 2 KAG Schleswig-Holstein ist.
Quelle: Kommentierung Dr. Manfred Hammel