BSG, Urteil vom 21. März 2019 (B 14 AS 31/18.R). Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b) SGB II wegen eines Aufenthalts eines luxemburgischen Staatsangehörigen nur zur Arbeitsuche im Bundesgebiet nicht entgegen, denn der von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 in Bezug auf die Gewährung von Leistungen gemäß dem SGB II erklärte Vorbehalt zum EFA bewirkt eine durchgreifende Einschränkung der Inländergleichbehandlung.
Dieser Leistungsausschluss ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, weil dieser Antragsteller ebenfalls grundsätzlich Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII (Sozialhilfe) hat.
EU-Ausländer, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU noch über ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, sind gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII zwar von Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss führt aber nicht auch zum Ausschluss von Ermessensleistungen entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.
Hinsichtlich der nach § 18 Abs. 1 SGB XII (Kenntnisnahmegrundsatz) erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers von einem Leistungsfall ist auf die dem Sozialamt zuzurechnende Kenntnis des antragstellerseitig zuerst angegangenen Jobcenters abzustellen.
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Mai 2019 (L 11 AS 122/19.B.ER):
Ein antragstellerseitig gehaltenes Kfz ist dann nicht vom Jobcenter entsprechend § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II in keiner Weise als Vermögen zu berücksichtigen, wenn dessen Verkehrswert unterhalb der Summe aus dem Wert für ein angemessenes Kfz (EUR 7.500,-) und den Grundfreibeträgen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II (in diesem Fall: EUR 9.300,-), d. h. insgesamt EUR 16.800,-, liegt.
Vom Jobcenter in diesem Zusammenhang durchgeführte Internet-Recherchen und eingeholte pauschale Auskünfte reichen für eine tragfähige Wertbestimmung nicht aus und entsprechen nicht der von diesem SGB II-Träger wahrzunehmenden Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X).
BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 (B 14 AS 10/18.R):
Die Deckelung der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung bei einem nicht erforderlichen Umzug auf die Aufwendungen für die bisherige Wohnung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II) ist auf den Fall des innerhalb eines Vergleichsraums durchgeführten Umzugs beschränkt. Dies folgt aus systematischen Gründen, dem Sinn und Zweck der Regelung, dem Ausschöpfen der Angemessenheitswerte für diese Aufwendungen entgegenzuwirken, sowie verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Der Vergleichsraum für die Angemessenheit unterkunftsbezogener Kosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt der Raum dar, für den ein grundsätzlich einheitlicher, abstrakter Angemessenheitswert zu ermitteln ist, innerhalb dessen einer nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Senkung von Unterkunftskosten grundsätzlich zumutbar ist, und ein nicht erforderlicher Umzug gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Aufwendungen auf die bisherigen Kosten der Unterkunft führt.
Entsprechend § 22b Abs. 1 Satz 4 SGB II bildet das Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters einen Vergleichsraum, der aufgrund der örtlichen Gegebenheiten auch in mehrere Vergleichsräume unterteilbar ist, für die jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmt werden können. Als solche örtlichen Gegebenheiten kommen insbesondere räumliche Orientierungen wie Tagespendelbereiche für berufstätige Personen, die Nähe zu Ballungsräumen sowie aus der Datenerhebung ableitbare, deutliche Unterschiede im Mietpreisniveau in Betracht.
BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 (B 14 AS 12/18.R):
Ein vom Jobcenter zur Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vertretenes Konzept, das zur Bildung mehrerer Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitswerten innerhalb eines Vergleichsraums auf der Grundlage einer „Clusteranalyse“ führt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für ein auch schlüssiges Konzept.
Für eine solche, weitere Aufteilung der Städte und Gemeinden eines Vergleichsraumes gibt es keine rechtliche Begründung.
Insbesondere lassen sich über die Bildung derartiger Wohnungsmarkttypen die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht ändern.
Die zu verschiedenen Wohnungsmarkttypen zusammengefassten Städte und Gemeinden können über den gesamten Vergleichsraum wie eine Art „Flickenteppich“ verteilt sein und der einzelne Wohnungsmarkttyp beansprucht nicht, einen aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit homogenen Lebens- und Wohnbereich darzustellen.
Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II geregelte Deckelung der unterkunftsbezogenen Aufwendungen nach einem nicht erforderlichen Umzug innerhalb eines Vergleichsraums auf das Kostenniveau der bisherigen Wohnquartiere, auf Wohnungsmarkttypen mit niedrigen Angemessenheitswerten, würde eine soziale Segregation bewirken, wenn sie auf einen Umzug von einem „preiswerten“ in einen „teuren“ Wohnungsmarkttyp Anwendung finden würde, und sie würde ins Leere laufen, wenn aus einem „teuren“ Wohnungsmarkttyp in einen „preiswerten“ umgezogen wird.
Wenn in einem Vergleichsraum kein einheitlicher, abstrakter Angemessenheitswert festgeschrieben wurde, dann können die mit dessen Fixierung auch verfolgten Steuerungswirkungen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht zur Entfaltung gelangen.
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Mai 2019 (L 8 AY 49/19):
Die Neufestsetzung der Bedarfssätze nach § 3 Abs. 5 AsylbLG ist entsprechend dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, demzufolge der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen hat, Aufgabe des Gesetzgebers und kann nicht durch ein angerufenes Gericht erfolgen.
In Verhältnis dieser Norm zu § 3 Abs. 4 AsylbLG ist aber eine Fortschreibung der Bedarfssätze nicht zuletzt auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) nicht ausgeschlossen.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 3 Abs. 4 und 5 AsylbLG als einer realitätsgerechten Fixierung des Existenzminimums aufgrund eines Mischindexes, der sowohl die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Preise als auch der Nettolöhne und –gehälter je Beschäftigten im Vorjahr berücksichtigt.
Eine Fortschreibung des Leistungssätze ist ebenfalls nach einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 4 und 5 AsylbLG angezeigt. Mit der (weiteren) Geltung der bisherigen Bedarfssätze nach § 3 AsylbLG dürfte eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG) einhergehen.
Sozialgericht Köln, Urteil vom 29. Mai 2019 (S 40 AS 352/19):
Von der Pauschale nach § 28 Abs. 3 SGB II nicht erfasst ist der Bedarf an notwendigen Schulbüchern, sondern lediglich an Gegenständen zur persönlichen Ausstattung für die Schule sowie an Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien. Als Anspruchsgrundlage kann hier in verfassungskonformer (analoger) Anwendung § 21 Abs. 6 SGB II herangezogen werden.
Auch wenn ein Bedarf an einem Schulbuch nicht fortlaufend im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II entsteht, handelt es sich hier um einen besonderen Bedarf, der im Regelbedarf nach § 20 SGB II nur sehr unzureichend abgebildet ist, obwohl verfassungsrechtlich eine vollständige Bedarfsdeckung geboten wäre, und der betr. Bedarf für mittellose Schüler unabweisbar ist.
Dies gilt gerade auch dann, wenn eine Übernahme notwendiger Schulbuchkosten durch einen Förderverein an der Schule nicht in Betracht kommt.
Bei Aufwendungen in einer Höhe von EUR 24,- handelt es sich um einen erheblichen, unter § 21 Abs. 6 SGB II subsumierbaren Bedarf. Auch wenn Schulbücher prognostisch in der Regel nur einmal im Jahr zum Schuljahresbeginn zu beschaffen sind, sprechen neben der praktischen Handhabbarkeit des Schulbuchs auch Anwendungsfälle wie dauerhaft benötigte Hygienemittel, die Kosten einer Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer und Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern dafür, dass im Zusammenhang mit den Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II auf einen Zeitraum von maximal einem Jahr ab dem ersten Bedarfsfall abgestellt wird.
Sozialgericht Magdeburg, Beschluss vom 1. Juli 2019 (S 7 AS 1427/19.ER):
Erst wenn für mindestens einen Monat eine vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit (§ 9 Abs. 1 SGB II) eintrat, wird eine Erbschaft während eines nach diesem Monat liegenden Leistungsbezugs zu Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II, ansonsten ist hier von einem Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II auszugehen. Eine dem § 24 Abs. 5 SGB II vergleichbare Regelung geht aus dem SGB II in Bezug auf ein nicht sofort verwertbares Einkommen in keiner Weise hervor.
Quelle: Kommentar Dr. Manfred Hammel