Ein Fahrzeug muss jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen, wenn es vom Fahrbahnrand auf die Fahrbahn einfährt (§ 10 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung, StVO). Fährt ein Linienbus aber von einer Haltestelle ab, müssen Fahrzeuge auf der Fahrbahn nach § 20 Abs. 5 StVO nötigenfalls warten.
Wer haftet für einen Schaden, wenn es trotzdem bei der Abfahrt eines Busses zu einem Unfall kommt?
Als ein Pkw im November 2019 in Verden an einer Haltestelle an einem Bus vorbeifahren wollte, fuhr dieser auf die Fahrbahn auf. Noch beim Anfahren des Busses stießen die Fahrzeuge zusammen; es entstand ein Schaden von gut 10.000 €. Der Busfahrer behauptete zwar, den linken Blinker eingeschaltet zu haben, konnte das aber nicht beweisen.
Der u.a. für Streitigkeiten in Folge von Verkehrsunfällen zuständige 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat jetzt mit Urteil vom 10. November 2021 entschieden, dass der Busunternehmer dem Halter des Pkw den überwiegenden Teil seines Schadens ersetzen muss (Az.: 14 U 96/21). § 20 Abs. 5 StVO schränkt zwar den Vorrang des fließenden Verkehrs ein, so dass eine Behinderung durch das Anfahren eines Busses hinzunehmen ist. Dafür muss der Fahrer eines Busses aber den Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig setzen und sich vergewissern, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht stark bremsen müssen.
Bislang ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, wer in welcher Höhe haftet, wenn dieser Ablauf nicht mehr sicher aufzuklären ist. Grundsätzlich wird ein Verschulden des Einfahrenden vermutet, hier also des Busfahrers. Das OLG Celle hat entschieden, dass diese Vermutung nur dann entkräftet ist, wenn der Busfahrer beweist, dass er sich richtig verhalten hat. Weil er das im vorliegenden Fall nicht konnte, muss der Busunternehmer den überwiegenden Teil des Schadens ersetzen.
§ 20 Abs. 1 StVO bestimmt zwar weiter, dass an haltenden Omnibussen nur vorsichtig vorbeigefahren werden darf, insbesondere nur mit mäßiger Geschwindigkeit, im Einzelfall auch nur mit Schrittgeschwindigkeit. Hier stand aber aufgrund eines Gutachtens fest, dass der Pkw nur mit 30 km/h an dem Bus vorbeigefahren war. Deshalb führte nur die sog. Betriebsgefahr des Pkw dazu, dass dessen Halter ¼ des Schadens selbst tragen muss.
Insbesondere das Kammergericht in Berlin hatte in zwei früheren Entscheidungen die gegenteilige Auffassung vertreten, ein Pkw-Fahrer müsse widerlegen, dass ein Busfahrer rechtzeitig geblinkt habe. Das Oberlandesgericht Celle hat deshalb die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung zu ermöglichen.
Quelle: Oberlandesgericht Celle
Anmerkung Sozialticker … er (der Busfahrer) hätte wohl aussteigen sollen und ein Handyvideo von seinem Blinken machen sollen – oder wie soll er dies beweisen? Er muss auch nichts beweisen, denn ihm muss bewiesen werden, dass er fehlerhaft sich verhalten hat und nicht umgekehrt. Es wird immer absurder in den Gerichtssälen, aber wirt können uns die Situation sehr gut nachvollziehen. Da will ein Bus los fahren, dass „kotzt“ dem normalen Autofahrer an, hinterm Bus zu stottern und überhohlt den dann einfach noch schnell. Pech gehabt, der Bus war schwerer. Solche Situationen sind tagtägliches Graus aller Busfahrer. Uneinsichtige Pkw Kutscher.