Die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hat mit Beschluss vom 29. April 2020 den Eltern eines vierjährigen schwerstbehinderten Mädchens, das in einer Einrichtung in Unna lebt, ein Besuchsrecht für das kommende Wochenende als Ausnahme vom entgegenstehenden Verbot nach der Coronaschutzverordnung zugesprochen.
Die Verbotsregelung sei zwar in Anbetracht der erheblichen Einschränkungen der Grundrechte sowohl der Bewohner und Patienten als auch der Angehörigen an sich verhältnismäßig. Um gerade die Angehörigen der Hochrisikogruppen vor einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 effektiv zu schützen, sei das Verbot geeignet und erforderlich. Die Regelung sei auch angemessen, da in absoluten Härtefällen die Einrichtungsleitung dazu berechtigt sei, Ausnahmen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung zuzulassen, wenn es medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist (z.B. auf Geburts- und Kinderstationen sowie bei Palliativpatienten).
Einen solchen Ausnahmefall hat das Gericht in dem hier besonders gelagerten Einzelfall bejaht und der für die Überwachung der Einhaltung der Coronaschutzverordnung zuständigen Stadt Unna aufgegeben, gegenüber der Leitung des Heims, in der die Tochter der Antragsteller lebt, anzuordnen, dass die Antragsteller ihre gemeinsame Tochter unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen (Übergabe und Aufenthalt nur in einem gesonderten Raum, Tragen von Mund-Nasen-Schutz während der gesamten Besuchszeit) und nach Hygieneunterweisung am kommenden Wochenende jeweils täglich bis zu drei Stunden besuchen dürfen, soweit die Antragsteller in den jeweils vergangen 14 Tagen vor dem jeweiligen Besuchstermin keine Corona-Symptomatik aufgewiesen hätten (Husten, Fieber, Atembeschwerden).
Die Antragsteller konnten gegenüber dem Gericht glaubhaft machen, dass es in ihrem konkreten Fall ausnahmsweise sozial-ethisch geboten ist, ihre Tochter, die sie seit nunmehr etwa einem Monat nicht mehr gesehen haben, zu besuchen. Die lange Trennung der Antragsteller von ihrem erst vierjährigen und schwerstbehinderten Kind sei nach Auffassung der Kammer an sich bereits sozial-ethisch bedenklich. Dem Mädchen könne nicht erklärt werden, wieso ihre Eltern sie nicht mehr besuchen kämen. Aufgrund der Art ihrer Behinderung sei das Mädchen auf soziale Kontakte in ganz besonderer Weise angewiesen. Die Antragsteller hätten insofern ausgeführt, dass ihre Tochter nur auf diese Weise im Rahmen der Eins-zu-Eins-Betreuung ihre Umwelt wahrnehmen könne.
Eine Kommunikation etwa mittels Telefonat oder Video-Telefonie sei nicht möglich. Zu berücksichtigen war auch, dass es inzwischen wiederholt zu Krampfanfällen gekommen sei. Es sei ohne Weiteres nachvollziehbar, dass sich in einer solchen Situation die Eltern ein persönliches Bild von ihrem Kind machen wollten. Dies zu verwehren, hält das Gericht für sozial-ethisch unvertretbar.
Soweit die Antragsteller die Einrichtung während es Besuchs mit ihrer Tochter zeitweise auch verlassen wollten, hat das Gericht den Antrag hingegen abgelehnt. Nach § 2 Abs. 2a CoronaSchVO dürften Bewohner und Patienten diese nur in Begleitung anderer Bewohner oder des Pflegepersonals verlassen. Die Einrichtungsleitung könne zwar auch hiervon Ausnahmen zulassen, wenn dies medizinisch oder ethisch-sozial geboten sei. Dies sei jedoch im vorliegenden Fall nicht festzustellen gewesen.
Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingelegt werden.
Aktenzeichen: 20 L 516/20
Quelle: Presseservice des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen