Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst?

18. Juli 2022

Mainz/Berlin (DAV). Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich zum Bereitschafts- bzw. Notfalldienst verpflichtet. Sie können davon befreit werden, wenn die Teilnahme unzumutbar ist. Etwa dann, wenn sie gesundheitlich nicht in der Lage sind, diesen neben ihrer Praxistätigkeit auszuüben.

Auf eine Entscheidung des Sozialgericht Mainz vom 20. Januar 2022 (AZ: S 3 KA 9/20) weist die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hin. Eine mögliche Dauervertretung auf Kosten des Arztes liegt in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV).

Die Klägerin ist als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie war bis Ende April befristet vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst aus gesundheitlichen Gründen befreit. Sie beantragte eine weitere Verlängerung dieser Befreiung, welches die KÄV ablehnte.

Dagegen klagte die Ärztin mit Erfolg. Das Gericht erhob umfangreich Beweis. Laut dem Gutachten eines Facharztes für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie leide die Klägerin an einem organischen Psychosyndrom (beginnende Demenz). Mit einem solchen Krankheitsbild könne allenfalls die jahrelang ausgeübte Routinearbeit mit Unterstützung des Praxispersonals mit fraglicher Güte ausgeübt werden. Es sei jedoch nahezu unmöglich, mit diesem Krankheitsbild auf ständig neue Situationen, wie sie im Bereitschaftsdienst vorkämen (vor allem bei fachfremden Krankheitsbildern), mit der nötigen Flexibilität, Umstellungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Auffassungsgabe verantwortungsvoll zu reagieren. Aufgrund ihrer Erkrankung sei die Klägerin auf Dauer nicht in der Lage, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen.

Darauf gestützt hob das Sozialgericht die ablehnenden Bescheide auf. Es verpflichtete die KÄV, die Klägerin über die bisherige Befristung hinaus von der Teilnahme am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst zu befreien.

Die Klägerin sei gesundheitlich außer Stande, persönlich Bereitschaftsdienste zu übernehmen. Zwar liege ein schwerwiegender Grund in der Regel nicht vor, wenn die eigene Praxistätigkeit uneingeschränkt aufrechterhalten werden könne. Die Klägerin erwirtschafte überdurchschnittliche Honorare und sei daher offenkundig in der Lage, ihre Praxis vollumfänglich zu betreiben. Im Hinblick auf ihr Krankheitsbild habe dies jedoch keine Aussagekraft auf ihre Befähigung, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Auch lägen keine anderen Gründe vor, die gegen eine Befreiung sprächen.

Zwar sei es ihr finanziell zumutbar, sich auf eigene Kosten vertreten zu lassen, dennoch bleibe es in diesem Fall bei der Befreiung. Für eine Dauervertretung müsse die KÄV entsprechende Regelungen erlassen, die zuverlässig sicherstellen, dass ein Vertreter zur Verfügung stehe. Die Letztverantwortung für die Ausübung des Bereitschaftsdienstes müsse bei der beklagten KÄV liegen, wenn der zum Dienst eingeteilte Arzt niemanden finde, der den Dienst übernehme, oder der vorgesehene Arzt kurzfristig ausfalle. Da es entsprechende Regelungen nicht gab, waren die Voraussetzungen für eine Befreiung nach wie vor gegeben.

Es gab nach Feststellung des Gerichts auch keine Unterversorgung für die Zeiten des Bereitschaftsdienstes. Im Zuständigkeitsbereich der Klägerin seien 139 niedergelassene Ärzte zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet. Zudem seien 66 Ärzte in die bestehende Vertreterliste eingetragen.

Quelle und Informationen: www.dav-medizinrecht.de


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