Kein sozialwidriges Verhalten bei Hilfebedürftigkeit aufgrund fehlender lückenloser AU-Bescheinigung

24. Dezember 2023

Fällt ein Anspruch auf Krankengeld weg, weil der Leistungsempfänger sich zu spät um einen (weiteren) Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit kümmert, führt dies nicht dazu, dass daraufhin bezogene „Hartz IV“-Leistungen nach Beendigung des Bezugs zurückgezahlt werden müssen.

Dies hat das Sozialgericht Osnabrück mit Urteil vom 17.10.2023 (Aktenzeichen S 16 AS 47/21) entschieden.

Die Kläger sind verheiratet und haben ein gemeinsames Kind. Der 1974 geborene Kläger war seit Juli 2018 wegen eines Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig erkrankt. Er bezog Krankengeld, wobei er von seiner Krankenkasse darauf hingewiesen wurde, dass ein lückenloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit (AU) zur Fortzahlung erforderlich sei.

Für den Zeitraum vom 12.11.2018 bis zum 18.11.2018 übersandte der Kläger eine solche Bescheinigung jedoch nicht, so dass seine Krankenkasse ihm das Krankengeld ab dem 12.11.2018 versagte. Der Versicherte beantragte daher noch im November 2018 beim zuständigen Jobcenter für die Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II, „Hartz IV“, seit 01.01.2023: Bürgergeld), die auch gewährt wurden.

Im März 2020 forderte das beklagte Jobcenter von den Eheleuten 961,36 EUR zurück mit der Begründung, der Kläger habe die Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig und sozialwidrig herbeigeführt, da er nicht rechtzeitig eine fortlaufende AU-Bescheinigung eingeholt habe. Mit seinem Widerspruch verwies der Kläger darauf, dass im besagten Zeitraum seine Frau, sein Sohn und er selbst erkrankt gewesen seien. Öffentliche Verkehrsmittel gebe es in seinem Wohnort nicht, und er könne aufgrund des Bandscheibenvorfalls keine Strecken zu Fuß gehen. Ihm sei angesichts seiner offensichtlich dauerhaften Erkrankung auch nicht bewusst gewesen, dass der Krankenschein so wichtig sei und nicht nur eine bloße Formalie darstelle.

Das beklagte Jobcenter verwies dagegen im ablehnenden Widerspruchsbescheid darauf, dass der Kläger von seiner Krankenkasse über das Erfordernis einer lückenlosen Krankschreibung informiert worden sei. Im Klageverfahren hat der Kläger ergänzend geltend gemacht, dass vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten schon deshalb nicht vorliege, weil er sich durch die „Hartz IV“-Leistungen im Vergleich zum Krankengeld auch finanziell schlechter gestellt habe.

Das Sozialgericht hat sich der Einschätzung des Klägers angeschlossen. Die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Der Kläger habe die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt. Das Gericht hielt den Vortrag des Erkrankten für glaubhaft, dass er die Bedeutung der lückenlosen Dokumentation der AU nicht erkannt habe – dies gerade vor dem Hintergrund seiner offenkundigen dauerhaften Erkrankung. Er sei zwar von seiner Krankenkasse über die Notwendigkeit des lückenlosen Nachweises der AU informiert worden, nicht aber darüber, dass der Krankengeldbezug bei eine „Lücke“ nicht nur für die Zeit des fehlenden Nachweises entfalle, sondern vollständig ende.

Das Bundessozialgericht fordert in derartigen Fällen auch bei Fahrlässigkeit ein Verhalten, das dem vorsätzlichen Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit wertungsmäßig gleichsteht. Ein solcher Vorwurf kann dem Kläger nicht gemacht werden. Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass der Bezug des höheren Krankengeldes für den Kläger finanziell besser gewesen wäre. Außerdem hat sich der Kläger zu dem Zeitpunkt, zu dem er die nächste AU-Bescheinigung habe einholen müssen, durch seine eigene Erkrankung sowie die seiner Ehefrau und seines Sohnes aus gerichtlicher Sicht in einer familiären Belastungssituation befunden, in der es nachvollziehbar sei, dass auch die Einhaltung wichtiger Fristen subjektiv an Bedeutung verliere.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Hinweis zur Rechtslage

§ 34 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten

Satz 1: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet.

Satz 2: Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.

Quelle: Sozialgericht Osnabrück


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