Getrenntlebende Ehegatten – Wohnung – übergangsweise befristet zuweisen

23. Juli 2022

Bei getrenntlebenden Ehegatten, von denen einer Alleineigentümer der Ehewohnung ist und in dieser zeitweise auch beruflich tätig ist und die im Übrigen wirtschaftlich ungefähr gleichgestellt sind, kann es der Billigkeit entsprechen, die Wohnung übergangsweise an den anderen, die gemeinsamen Kinder überwiegend betreuenden Ehegatten zumindest befristet zuzuweisen.

Bei den Beteiligten handelt es sich um Ehegatten. Die Beziehung ist zerrüttet. Aus der Ehe ist ein gemeinsames Kind, geboren 2016, hervorgegangen. Ferner lebt in dem gemeinsamen Haushalt die Tochter der Antragstellerin, welche im Jahre 2008 geboren wurde. In der jüngeren Vergangenheit kam es zwischen den Beteiligten trennungsbedingt zu regelmäßigen Auseinandersetzung, die auch lautstark und unter wechselseitigen Beschimpfungen bis hin zur körperlichen Auseinandersetzung und in Anwesenheit der minderjährigen Kinder geführt wurden. Die Beteiligten wohnen in einem ca. 180qm Wohnfläche umfassenden Einfamilienhaus, welches im Alleineigentum des Antragsgegners steht. Über separate, abtrennbare Wohnbereiche mit Küche und sanitären Einrichtungen verfügt das Haus nicht. Beide Eheleute gehen einer Berufstätigkeit in Vollzeit nach und erzielen Einkünfte in ungefähr gleicher Größenordnung. Der Antragsgegner ist beruflich darauf angewiesen, eine Alarmanlageinstallation im Wohnhaus der Beteiligten zur Fehlersimulation regelmäßig beruflich zu nutzen. Die Tochter der Antragstellerin besucht die Schule vor Ort. Der gemeinsame Sohn der Beteiligten besucht dort den Kindergarten. Im Übrigen hat er in verschiedener Hinsicht Förderbedarf, der vor Ort derzeit oder künftig erfüllt wird. Die Antragstellerin beantragt die Zuweisung der Ehewohnung für die Dauer des Getrenntlebens auf sich. Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung des Antrags.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Gericht hat der Antragstellerin für die Dauer von rund sechs Monaten die Wohnung zugewiesen.

„(…)Gemäß § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB kann, wenn die Ehegatten voneinander getrennt leben oder einer von ihnen getrennt leben will, jeder Ehegatte verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder einen Teil zur alleinigen Benutzung überlässt, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Eine unbillige Härte kann auch dann gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB). Der Begriff der unbilligen Härte ist einzelfallbezogen auszufüllen. In die Gesamtabwägung einzubeziehen sind neben dem Verhältnis der Ehegatten zueinander die Belange des anderen Ehegatten, dingliche Rechtspositionen und alle wesentlichen sonstigen Umstände, die die Lebensbedingungen der Ehegatten, aber auch ihre Beziehung zu der Ehewohnung bestimmen. In jedem Fall ist angesichts der Schwere des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs Rechnung zu tragen. Die Entscheidung soll einerseits dem Persönlichkeitsschutz des in der Wohnung Verbleibenden dienen, andererseits dem anderen die räumliche und soziale Lebensbasis möglichst erhalten. Je geringer etwa aufgrund der Trennungsdauer die Chance auf eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft wird, umso weniger streng können tendenziell die Voraussetzungen für die Wohnungszuweisung anzusetzen. Zur Bejahung einer unbilligen Härte ist keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des die Überlassung der Ehewohnung begehrenden Ehegatten erforderlich. Andererseits reichen bloße Unbequemlichkeiten, Unannehmlichkeiten und Belästigungen wie sie häufig mit der Trennung von Ehegatten einhergehen, nicht aus, um eine unbillige Härte begründen zu. Besonders zu beachten ist das Wohl von Kindern. Nicht nur bei Gewalt, sondern auch wenn schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen bestehen und die häusliche Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander nachhaltig gestört ist, kann dies zu erheblichen Belastungen der Kinder führen. Ihren Bedürfnissen an einer geordneten und spannungsfreien Familiensituation kommt auch in solchen Fällen Vorrang zu. Das Gesetz sieht mithin ausdrücklich vor, dass das Wohl von Kindern – ohne Rücksicht darauf, ob es sich um gemeinschaftliche Kinder, um Stief- oder Pflegekinder oder um minderjährige oder volljährige Kinder handelt – bei der Beurteilung, ob eine unbillige Härte vorliegt, maßgeblich zu berücksichtigen ist. Richtet sich physische oder psychische Gewalt eines Ehegatten gegen Kinder, so begründet dies eine unbillige Härte, die zu einer Wohnungszuweisung zugunsten des anderen Ehegatten führen kann. Erleben Kinder Gewalt zwischen Erwachsenen mit, führt dies bei ihnen regelmäßig zu seelischen Schäden sowie zur Ausbildung von Verhaltensauffälligkeiten. Aber auch wenn schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen bestehen und die häusliche Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander nachhaltig gestört ist, kann dies zu erheblichen Belastungen eines Kindes führen. Seinen Bedürfnissen an einer geordneten und spannungsfreien Familiensituation kommt auch in solchen Fällen Vorrang zu. Die Wohnung ist vorzugsweise dem Elternteil zuzuweisen, der das Kind in erster Linie betreut.

Vor diesem Maßstab kann die Antragstellerin die Überlassung der Ehewohnung verlangen. Unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten ist dies erforderlich, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Die unbillige Härte folgt hier vor allem daraus, dass das Wohl der im Haushalt lebenden Kinder beeinträchtigt ist. Denn zwischen den Beteiligten ist es in der Vergangenheit regelmäßig zu heftigen, integritätsverletzenden Auseinandersetzungen gekommen, die auch vor den Kindern ausgetragen wurden. Das psychische und seelische Wohl der Kinder ist durch die eskalierende Konfliktaustragung der Ehegatten gefährdet. Gewaltanwendungen zwischen den Ehegatten selbst führen ebenfalls in der Regel zu seelischen Schäden der Kinder, die diese Gewalt miterleben, weshalb in solchen Fällen unter Heranziehung weiterer Gesichtspunkte, insbesondere des Kindeswillens, dessen Interesse am Verbleib in der ihm vertrauten Umgebung sowie der Frage, welcher Ehegatte besser für das Kind sorgen kann, die Entscheidung zu treffen ist. Selbst andauernde Spannungen und Streitereien der Eltern können zu erheblichen Belastungen der Kinder führen, die eine Überlassung der Ehewohnung an einen Ehegatten rechtfertigen. Der genaue Anlass dieser Auseinandersetzung ist nicht aufzuklären und letztlich für die Entscheidung auch nicht von maßgeblicher Bedeutung. Die Mutter ist die Hauptbezugsperson der Kinder. Diese werden – nach jetzigem Stand – dauerhaft oder jedenfalls bis auf Weiteres bei der Mutter leben. Das Gericht folgt insofern der Auffassung des Jugendamts, wonach der Mutter aus Gründen des Kindeswohls zumindest übergangsweise die Wohnung zuzuweisen ist.

Durch die Wohnungszuweisung an die Mutter kann die Gefahr einer Kindeswohlbeeinträchtigung durch das Miterleben der elterlichen Streitigkeiten ausgeschlossen werden. Zwar stellt auch die Trennung als solche und die Herausweisung des anderen Elternteils für die Kinder immer einen Einschnitt und eine Krisensituation dar. Die besondere Gefährdung eskalierender Streitigkeiten zwischen den Eltern ergibt sich indes nicht bereits zwingend aus der Trennung von Elternteilen und muss daher möglichst abgewendet werden.

Eine anderweitige Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht vor dem Hintergrund des Alleineigentums des Antragsgegners oder des beruflichen Angewiesenseins auf die Immobilie. Zwar sieht § 1361b Abs. 1 S. 3 BGB vor, dass das Alleineigentum eines Ehegatten an der Ehewohnung besonders zu berücksichtigen ist. Das Kindeswohl ist regelmäßig vorrangig auch gegenüber der etwaigen Eigentümerstellung des überlassungspflichtigen. Gleiches gilt für die berufliche Nutzungsmöglichkeit der Immobilie. Beide Aspekte finden indes im Rahmen der Gesamtabwägung insofern Berücksichtigung, als der Antragstellerin die Ehewohnung nicht für die Dauer des Getrenntlebens, sondern lediglich für den tenorierten Zeitraum zugewiesen wird. Das Gericht geht davon aus, dass es der Antragstellerin zuzumuten und im Ergebnis verhältnismäßig ist, in diesem Zeitraum geeigneten Ersatzwohnraum für sich und die Kinder zu suchen und die wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Trennungssituation einzustellen. Dem Antragsgegner wird es indes zuzumuten sein, vor dem Hintergrund des Kindeswohls die Einschränkung der Nutzung seines Eigentums innerhalb der gesetzten Frist hinzunehmen.

Die dauerhafte Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin kommt nicht in Betracht. Insofern ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass es sich bei der Immobilie um Alleineigentum des Antragsgegners handelt und dieser die Immobilie zu beruflichen Zwecken benötigt. Die ausnahmsweise Zuweisung an den Nichteigentümer-Ehepartner – wie vorliegend – sollte, wenn ein Ende des Getrenntlebens nicht abzusehen ist, in der Regel befristet werden. Angesichts der im Übrigen ungefähr gleichen finanziellen Verhältnisse erscheint es nicht verhältnismäßig, dem Antragsgegner dauerhaft die Nutzung seines Eigentums zu verwehren. Anderseits erscheint die gesetzte Frist ausreichend und auch angemessen, damit die Antragstellerin ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und sonstigen Abläufe anpassen und angemessenen Ersatzwohnraum finden kann.

Die Zuweisung einzelner Räume an den Antragsgegner allein und Zuweisung der Küche, des Kellers und der Verkehrsflächen zur gemeinsamen Nutzung mit der Antragstellerin kommt ebenfalls aus Kindeswohlgründen nicht in Betracht. Denn das besondere Einvernehmen der Beteiligten, das für das insofern denkbare, indes beinahe ungetrennte Wohnen erforderlich ist, ist nicht ersichtlich. Die Aufteilung einer Wohnung im Verfahren gem. § 1361 b BGB kann nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, dass mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Ehepartner entweder nicht zu rechnen ist oder wenn sich die Ehepartner wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen. Dies ist vorliegend, wie auch im Rahmen der persönlichen Anhörung der Beteiligten deutlich wurde, nicht der Fall. Die Beteiligten haben sich in hierbei immer wieder auf ihre Positionen zurückgezogen, ohne das Kindeswohl und die durch das Gericht ausführlich erläuterten Umstände in ihre Überlegungen angemessen einzubeziehen. Die Fähigkeit, die jeweils andere Seite zu Wort kommen und ausreden zu lassen war dabei ebenso erkennbar eingeschränkt, wie die Fähigkeit, die Paar- von der Elternebene zu trennen. Vor diesem Hintergrund ist die besondere Rücksichtnahmefähigkeit, die ein Aufteilen der Wohnung erforderlich machen würde, nicht zu erwarten. (…)“

Quelle: Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz)


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