Kommentierte Gerichtsentscheidungen – Teil 32

20. Februar 2021

Bundessozialgericht, Urteil vom 11. September 2020 (B 8 SO 8/19.R). Der sozialhilferechtliche Bedarf im Rahmen des § 74 SGB XII stellt eine Entlastung der zur Bestattung verpflichteten Personen von in diesem Zusammenhang entstehenden Aufwendungen dar, womit diese Verbindlichkeit als solche als ein sozialhilferechtlicher Bedarf anerkannt wird.

Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Übernahme von Bestattungskosten im Sinne des § 74 SGB XII richtet sich maßgeblich nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls (§ 9 Abs. 1 SGB XII). Der für die Anerkennung der Bedürftigkeit bzw. Unzumutbarkeit gemäß § 74 SGB XII ausschlaggebende Zeitpunkt stellt der der Fälligkeit der Bestattungskosten dar.

Wenn eine Gutschrift über Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen nach § 37 Abs. 1 SGB XI erst nach dem Ableben des Gatten einging, dann wäre die einst die Pflege übernehmende Witwe wegen dieser ausgezahlten Sozialleistung als Sonderrechtsnachfolgerin entsprechend § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I aufzufassen. In diesem Fall handelt es sich hier um ein Vermögen dieser Witwe gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII, das nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII verwertungsgeschützt ist, sofern diese Summe als ein „kleiner Barbetrag“ im Sinne des § 1 Satz 1 Nr. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII aufgefasst werden kann bzw. die aus § 90 Abs. 3 SGB XII hervorgehende Härtevorschrift zur Anwendung gelangt, weil eine Nachzahlung von Pflegegeld einging, der z. B. Verbindlichkeiten aus Aufwendungen für die Pflege gegenüber anderen Gläubigern gegenüberstanden.

Ging die Gutschrift über das Pflegegeld hingegen bereits vor dem Ableben des Gatten ein, dann fällt diese Geldleistung wie sämtliche vor dem Eintritt des Erbfalls auf dem gemeinsamen Bankkonto gutgeschriebenen Beträge in den Nachlass. Bei einem Gemeinschaftskonto der Eheleute ist dies allerdings nur zu 50 v. H. der Fall; die andere Hälfte befindet sich im Eigentum der Gattin.

Wenn es sich hingegen hier um ein Einzelkonto des verstorbenen Gatten handelte, für das der Gattin lediglich eine Vollmacht eingeräumt war, dann ist davon auszugehen, dass der gesamte, vor dem Eintritt des Erbfalls gutgeschriebene Betrag in den Nachlass fiel und an die Gattin sowie die Tochter als die bestattungspflichtigen Personen vererbt wurde (§ 1922 Abs. 1 BGB).

BSG, Urteil vom 17. September 2020 (B 4 AS 22/20.R):

Für die Bestimmung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann die Zusammenstellung von Angebotsmietenkonzepten ein geeignetes Verfahren darstellen, um ein wohnungsbezogenes Existenzminimum zu ermitteln, auch wenn keine Bestandsmieten erhoben wurden. Auch aus dieser Datensammlung gehen valide Aussagen über die Anmietbarkeit von Wohnraum für Bezieher von Alg II hervor.

In diesem Sachzusammenhang besteht keine Pflicht zur Berücksichtigung von Bestandsmieten.
Aus Konzepten, die ausschließlich auf der Grundlage von Angebotsmieten erstellt werden, hat sich allerdings zu ergeben, dass Wohnungen zum als angemessen ermittelten Betrag – insbesondere im Vergleich zur Wohnungsnachfrage im Vergleichsraum – auch in ausreichender Anzahl tatsächlich angeboten werden. Ein Konzept, das sich letztlich nur auf eine derart geringe Anzahl an angebotenen Wohnungen stützt, so dass der Schluss, Wohnraum stünde zu diesem Preis grundsätzlich zur Anmietung zur Verfügung, nicht gerechtfertigt wäre, würde keine ausreichende Basis für die Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten darstellen.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn für die Ermittlung der abstrakt angemessenen, „kalten“ Betriebskosten auf die Durchschnittswerte von – möglichst lokalen oder regionalen – Erhebungen zu den tatsächlichen Betriebskosten abgestellt wird.

Die Zugrundelegung entsprechender Durchschnittswerte setzt allerdings stets voraus, dass sich die Erhebung dieser Daten auf den gesamten Wohnungsmarkt des Vergleichsraums und nicht nur auf Wohnungen einfachen Standards mit möglicherweise geringen „kalten“ Betriebskosten oder gar nur auf Wohnungen von Alg II-Empfängern bezieht. Ein entsprechender Wert würde von einem erheblichen Teil der Alg II-Bezieher nicht als angemessen i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II akzeptiert werden.

OVG Sachsen, Beschluss vom 15. Dezember 2020 (3 B 201/20):

Der Lebensunterhalt einer Ausländerin ist nicht gesichert im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wenn von dieser Person der Unterhaltsanspruch nicht gedeckt werden kann, der im Fall einer Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II vom Jobcenter durch Leistungen entsprechend den §§ 19 ff. SGB II garantiert werden müsste.

Dies liegt vor bei einer nur geringfügig beschäftigten Alleinerziehenden mit einem Kind, deren monatliches Bruttoeinkommen sich auf EUR 600,- (zuzüglich das Kindergeld für ihren Sohn in Höhe von EUR 204,-) beläuft.

Zahlungen des Vaters dieser nichtdeutschen Person, der seinerseits bedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II ist, stellen freiwillige Leistungen dar, die seiner Tochter nicht dauerhaft zur Verfügung stehen und deshalb nicht als ein zur Bedarfsdeckung fortlaufend erhaltenes Einkommen aufgefasst werden können.

In Berücksichtigung der Berufsperspektiven dieses Menschen und der aus der bisherigen Erwerbsbiographie hervorgehenden Daten und Fakten ist hier kein Verlaufsschema erkennbar, das die Bejahung stabiler Einkommensverhältnisse gestattet. Das Fehlen sowohl eines Schul- als auch eines Berufsabschlusses sowie stets nur kurzzeitig ausgeübte, meistens geringfügige Beschäftigungsverhältnisse stellen Punkte dar, die dafür sprechen, dass diese Person bis auf weiteres als hier nicht beruflich eingegliedert eingeschätzt werden kann.

Vom Bestehen eines atypischen Falls, der derart deutlich vom Regelfall abweicht, dass die Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltsrechts des Kindes entsprechend § 34 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers oder mit höherrangigem Recht (Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK) unvereinbar ist, kann nicht ausgegangen werden, wenn eine 22jährige, erwerbsfähige Kindsmutter nicht die erforderliche Eigeninitiative entwickelt, ihr Leben in der Weise zu organisieren, dass sie ihren notwendigen Lebensunterhalt eigenständig erwirtschaften kann.

Eine „Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration“ gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG hat neben der Aussprache einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) durch die Ordnungsbehörde nach § 60a AufenthG ebenfalls die überwiegende Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit entsprechend § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG „regelmäßig“ zur Voraussetzung. Hierunter ist zu verstehen, dass mindestens 50 v. H. dieses Bedarfs monatlich aus eigenen Mitteln gedeckt werden können.

Ein Sozialleistungsbezug darf hier nach § 25b Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur „vorübergehend“, d. h. nicht auf unabsehbare Zeit erforderlich sein, was gemäß § 25b Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich auch für „Familien mit minderjährigen Kindern“ Gültigkeit hat. Dies liegt bei einer alleinerziehenden Mutter, die aufgrund ihrer geringen Qualifikation und der fehlenden Beständigkeit der bislang von ihr in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten (nie länger als sechs Monate) keine berufliche Eingliederung gelang, weshalb ihre Angewiesenheit auf (aufstockend bewilligte) Sozialleistungen nicht nur vorübergehend sein wird, allerdings nicht vor.

Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 19. November 2020 (S 29 AS 1164/18):

Zur Anerkennung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen einer Betroffenheit mit einer Leberzirrhose und einer Bauchspeicheldrüsenentzündung sowie einer infolge dieser Krankheitsbilder bestehenden Angewiesenheit auf eine besonders eiweißreiche und fettarme Kost.

Die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge erarbeiteten „Empfehlungen zur Gewährung des Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII“ vom 16.09.2020 sind hier als eine wichtige Orientierungshilfe aufzufassen. Diesen Aussagen zufolge handelt es sich bei einer Leberzirrhose um eine Erkrankung, mit der häufig eine Mangelernährung assoziiert sein kann.

Bei einer entsprechend gesicherten Diagnose wird an dieser Stelle deshalb ein Mehrbedarf in einer Höhe von 10 v. H. der Regelbedarfsstufe 1 empfohlen. Die gleichzeitig bestehende Bauchspeicheldrüsenentzündung kann zudem dazu führen, dass die Verdauung beeinträchtigt ist.

OVG Sachsen, Beschluss vom 3. Dezember 2020 (3 A 328/18.A):

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist zu gewähren, wenn das Telefax-Gerät der Berufungsinstanz durchgängig besetzt war, so dass deshalb die Berufungsfrist nicht gewahrt werden konnte, obwohl mit der Übermittlung des erforderlichen Schriftsatzes per Telefax rechtzeitig begonnen und vom Prozessbevollmächtigten die richtige Telefax-Nummer verwendet worden ist.

Im Zusammenhang mit dem Empfangsgerät des Berufungsgerichts bestehende technische Probleme hat ein Prozessbevollmächtigter nicht zu vertreten, wenn der von ihm unternommene Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes durch Vorlage des Sendejournals seines Faxgeräts sowie des entsprechenden Fehlerberichts glaubhaft gemacht werden kann, und diese Daten und Fakten sich mit dem Telefax-Journal des Berufungsgerichts in Einklang bringen lassen.

Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 9. Dezember 2020 (S 70 AS 4480/20.ER):

Einem Jobcenter ist es gestattet, entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II eine Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 2 SGB II) durch einen von ihm erlassenen Verwaltungsakt zu ersetzen, wenn dieser SGB II-Träger sich um den Abschluss einer solchen Vereinbarung sehr bemüht und hier insbesondere dem Alg II-Empfänger auch eine ausreichende Bedenkzeit eingeräumt hat, dieser erwerbsfähige Leistungsberechtigte aber keine konstruktive Mitwirkung praktizierte und die Vorschläge des Jobcenters stets ablehnte.

Dies gilt gerade dann, wenn seitens des Jobcenters ebenfalls eine eingehende Potentialanalyse (§ 15 Abs. 3 Satz 2 SGB II) erfolgte. Die in einem Eingliederungsverwaltungsakt vorgegebenen Regelungen werden aber dem in Bezug auf eine solche Verfügung zu fordernden Gleichgewicht von gesetzten Rechten und Pflichten nicht gerecht, wenn als „Unterstützung durch das Jobcenter“ in diesem Papier die Pflicht des Alg II-Empfängers zur Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit (§ 16d SGB II) bezeichnet wird.

Ein solcher Verwaltungsakt, aus dem lediglich Obliegenheiten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hervorgehen, in dem einzig im SGB II geregelte Punkte aufgelistet werden und auf vom Jobcenter angebotene Unterstützungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der beruflichen Wiedereingliederung in keiner Weise eingegangen wird, stellt eher einen Anknüpfungspunkt für mögliche Sanktionen (§§ 31 ff. SGB II) und damit eine nur zu offensichtlich einseitig verpflichtende Regelung dar.

LSG Thüringen, Beschluss vom 8. Januar 2021 (L 9 AS 862/20.B.ER):

Der von einer 14jährigen, Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II beziehenden Schülerin geltend gemachte Bedarf zur Anschaffung eines internetfähigen Computers nebst notwendigem Zubehör (Bildschirm, Tastatur, Maus und Drucker mit Patronen) zum Zwecke der Teilnahme am pandemiebedingt nur noch online stattfindenden Hausunterricht stellt einen grundsätzlich nach § 21 Abs. 6 SGB II anzuerkennenden Mehrbedarf dar.

Der Bedarf für eine derartige Ausstattung ist bei der Festsetzung der Regelsätze (§ 20 SGB II) auf der Grundlage des Regelbedarf-Ergänzungsgesetz 2016 nicht berücksichtigt worden.
An dieser Stelle ist deshalb eine verfassungskonforme Auslegung der aus § 21 Abs. 6 SGB II hervorgehenden Härtefallvorschrift vertretbar.

Auch die Notwendigkeit zur Finanzierung einer Ausstattung zur fortlaufenden Benutzung kann einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II darstellen. Von maßgebender Bedeutung ist hier einzig das Bestehen einer atypischen Bedarfssituation, die auf Dauer zu deutlichen Einschränkungen des notwendigen Existenzminimums führt, weil ein von einem durchschnittlichen Bedarf abweichendes Bedürfnis zur Sicherung des Existenzminimums besteht, das auch von dritter Seite aus (weder von der Bildungseinrichtung noch vom Schulträger) nicht befriedigt wird.

Das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) kann allerdings lediglich Leistungen auf einfachem Niveau, die als noch ausreichend aufzufassen sind, garantieren.
Es ist deshalb der Verweis von bedürftigen Schülerinnen und Schülern auf sehr kostengünstige und gebrauchte, aber dennoch zweckentsprechende Geräte vertretbar.

Ein Jobcenter kann hier entweder gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB II selbst Sachleistungen erbringen oder eine Kostenerstattung (als Geldleistung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) in einer Höhe von maximal EUR 500,- nach einer antragstellerseitig vollzogenen Anschaffung der erforderlichen Ausstattung durchführen.

Sozialgericht Halle, Gerichtsbescheid vom 10. März 2020 (S 18 AS 858/15):

Keine Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III, wenn dem Jobcenter bekannt war, dass dem Alg II-Empfänger von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Erwerbsminderungsrente (§ 43 SGB VI) bewilligt worden ist, denn dieser mit Wirkung für die Vergangenheit geäußerten Rücknahme steht die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X entgegen.

Der Anspruch des Jobcenters gilt hier als entsprechend § 107 SGB X erfüllt, und zwar unabhängig davon, ob ein solcher Erstattungsanspruch geltend gemacht oder ein solcher Anspruch tatsächlich erfüllt worden ist. Keine Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Aspekt, wenn im Einzelfall im Verhältnis der beteiligten Sozialleistungsträger untereinander ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X unbefriedigt bleibt. Gleiches hat in Bezug auf eine Auszahlung einer Rentennachzahlung an einen Empfänger von Alg II Gültigkeit.

Sozialgericht Kiel, Gerichtsbescheid vom 30. September 2020 (S 42 AS 773/17):

Zur Gewährung eines persönlichen Schulbedarfs nach § 28 Abs. 1 und 3 SGB II auch für einen bedürftigen Schüler, der einen Vorbereitungskurs der Volkshochschule zur Erlangung eines mittleren Bildungsabschlusses besucht.

Dem Leistungsauftrag des § 28 SGB II, die Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums von Schülerinnen und Schülern auch im Bereich der Bildungsteilhabe, wird nur dann entsprochen, wenn das Jobcenter nicht auf einen rein formalen schulrechtlichen Begriff der allgemeinbildenden Schulart abstellt, sondern diesen Begriff weit auslegt. Einzig durch eine solche Interpretation kann das SGB II in dieser Beziehung der Förderung der „Bildung und Teilhabe“ und hier der im Schulwesen bestehenden Vielfalt umfassend Rechnung tragen.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. Oktober 2020 (L 8 SO 77/20):

Die Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland im Ermessenswege ist entsprechend § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XII einem Sozialhilfeträger nicht nur in dem Fall möglich, dass es sich beim mit einem deutschen Staatsangehörigen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind um ein Kind dieser hilfesuchenden Person handelt. Dies gilt auch bei Adoptiv-, Stief- oder Pflegekindern, die im gleichen Haushalt leben.

Hier greift ebenfalls der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG, sofern diese Kinder über eine deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Eine „außergewöhnliche Notlage“ im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, angesichts der eine Leistungsgewährung als „unabweisbar“ aufgefasst zu werden hat, liegt nicht vor, wenn ein über 65jähriger Antragsteller über ein monatliches Renteneinkommen in einer Höhe von ca. EUR 1.000,- verfügt. Bei einer derartigen Mittellage kann nicht von einer konkreten und unmittelbaren Gefährdung des Existenzminimums ausgegangen werden. Entsprechende Renteneinkünfte würden es in Deutschland einer Einzelperson ermöglichen, den notwendigen Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von aufstockend nach den §§ 41 ff. SGB XII gewährten Leistungen zu bestreiten.

Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 27. November 2020 (S 4 SO 81/18):

Zum Hausgebärdensprachkurs für ein von Geburt an hörbehindertes Kleinkind (GdB: 100; Zuerkennung der Merkzeichen „G“, „B“, „H“, „Gl“ und „RF“) als Leistung zur Sozialen Teilhabe nach § 113 Abs. 1 SGB IX, wenn dieses noch nicht schulpflichtige Kind auf die Kenntnis der Deutschen Gebärdensprache (DGS) zum Zwecke der Kommunikation mit seinen Eltern angewiesen ist.
Aus § 113 Abs. 2 SGB IX geht keine abschließende Auflistung von Anwendungsbeispielen hervor (vgl. „insbesondere“).

Zum Erlernen der DGS besteht hier keine Alternative, wenn behinderungsbedingt ansonsten mit einer Einschränkung des Sprachverstehens im Störgeräusch, der hörgerichteten Aufmerksamkeit und des Richtungsgehörs zukünftig gerechnet zu werden hat. Für die Erforderlichkeit des komplementären Erlernens der DGS – trotz der Versorgung des schwerbehinderten Kindes beidseits mit Cochlear-Implantaten (CI) – sprechen überdies wichtige Gesichtspunkte wie, dass ihm eine Kommunikation im Störgeräusch (bei Lärm), beim Baden und dem Besuch eines Schwimmkurses sowie bei einem sturzbedingten Ausfall beider CIs nicht möglich ist.

Gerade die Kommunikation im Rahmen des Eltern-Kind-Verhältnisses stellt ein wesentlicher Ausfluss des kindlichen Teilhabeanspruchs dar. Über Art. 24 Abs. 3b) und c) der UN-Behindertenrechtskonvention ist auch Deutschland gehalten, das Erlernen der DGS durch geeignete Maßnahmen und damit die sprachliche Identität gehörloser Menschen zu fördern.
Wenn bei einem hörbehinderten Kind nicht auch eine seelische Behinderung vorliegt, besteht hier keine Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.

Bei einem Hausgebärdensprachkurs handelt es sich auch um kein gemäß § 27 SGB V in Verbindung mit § 32 SGB V zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähiges Heilmittel. Dies kann lediglich bei einer notwendigen Sprachtherapie zur „Ausbildung der Lautsprache zur sprachlichen Kommunikation sowie zum Erhalt der Lautsprache“ vertretbar sein.

Sozialgericht Köln, Beschluss vom 18. Dezember 2020 (S 30 AS 4100/20.ER):

Zur Bejahung der Einschränkung der Anspruchsausschlussgründe gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Fall einer im Bundesgebiet lebenden österreichischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) aufgrund des aus Art. 2 Abs. 1 des „Deutsch-Österreichischen Abkommens für Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (DÖFA)“ vom 17.01.1966 hervorgehenden Gleichbehandlungsgebots.

Das DÖFA wirkt als unmittelbares Bundesrecht. Ein Vorsatz zur Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen Fürsorge im Bundesgebiet liegt nicht vor, wenn unmittelbar nach der Einreise einer nichtdeutschen Person von ihr hier eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt wurde, und bedingt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sich die weitere Arbeitsuche sehr schwierig darstellte.

Quelle: Dr. Manfred Hammel


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