Teilt ein Fahrzeughalter mit, dass nicht er, sondern einer seiner beiden Zwillingssöhne einen Geschwindigkeitsverstoß mit seinem Fahrzeug begangen habe, und macht er im Übrigen von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, darf die Bußgeldbehörde das Verfahren nicht vorschnell einstellen und dem Halter die Führung eines Fahrtenbuchs auferlegt werden.
Vielmehr habe die Behörde zunächst die Söhne des Halters zu befragen. Dies entschied das Verwaltungsgericht Koblenz und gab einer entsprechenden Klage statt.
Mit dem Kraftrad des Klägers wurde am 13. Juli 2018 innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 33 km/h überschritten. Auf den in der Verwaltungsakte befindlichen Radarfotos ist das Gesicht des Fahrers aufgrund des Motorradhelms nicht zu erkennen. In dem sich anschließenden Bußgeldverfahren teilte der Kläger der Bußgeldstelle mit, er sei nicht der verantwortliche Fahrzeugführer, vielmehr habe einer seiner beiden Söhne das Motorrad zum fraglichen Zeitpunkt gefahren; im Übrigen mache er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die Bußgeldstelle stellte daraufhin das Verfahren ein. Gegenüber dem Kläger wurde für die Dauer von 15 Monaten die Führung eines Fahrtenbuchs angeordnet.
Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Widerspruch Klage und trug im Wesentlichen vor, der Beklagte habe nicht alle angemessenen und zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen. Er habe sich nicht lediglich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, sondern den Kreis der möglichen Fahrer auf zwei Personen – seine beiden Söhne – eingegrenzt. Der Beklagte hätte problemlos durch deren Anhörung versuchen können, den tatsächlichen Fahrer festzustellen.
Es sei nicht ausgeschlossen, dass einer seiner Söhne bei einer solchen Befragung den Verkehrsverstoß eingeräumt hätte. Dem trat der Beklagte insbesondere mit dem Einwand entgegen, die Bußgeldstelle sei nicht verpflichtet gewesen, die beiden Zwillingssöhne des Klägers parallel anzuhören. Denn die Mitarbeiter der Bußgeldstelle sähen sich in diesem Fall einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Vorwurfs der Verfolgung Unschuldiger ausgesetzt.
Dem folgte das Verwaltungsgericht nicht und gab der Klage statt.
Zwar könne eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden, wenn die Ermittlung des Fahrzeugführers, der den in Rede stehenden Verkehrsverstoß begangen hatte, nicht möglich gewesen sei. Hierfür komme es im Wesentlichen darauf an, ob die Ermittlungsbehörde unter sachgerechtem und rationalem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen diejenigen Maßnahmen getroffen habe, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht würden und erfahrungsgemäß Erfolg haben könnten. Benenne der Fahrzeughalter einen überschaubaren Kreis von Angehörigen, die als Verantwortliche für den Verkehrsverstoß in Betracht kämen, müsse die Behörde diese Personen in der Regel befragen, da eine solche Befragung nicht von vorneherein aussichtslos erscheine.
Dies gelte auch dann, wenn – wie hier der Fall – die beiden Zwillingssöhne des Fahrzeughalters als Fahrer in Betracht kämen. Angesichts der Tatsache, dass die beiden Zwillingssöhne des Klägers deutlich unterschiedliche Körpergrößen aufwiesen, sei es der Bußgeldstelle auch zumutbar gewesen, anhand der Radarfotos und der dort abgebildeten Kleidung sowie des Helms des Fahrers weitere Ermittlungen anzustellen. Diesem Ergebnis stehe nach Auffassung der Richter nicht entgegen, dass – wie der Beklagte meine – eine Befragung der Zwillingssöhne des Klägers zu einer Strafbarkeit der Mitarbeiter der Bußgeldstelle wegen der Verfolgung Unschuldiger führen würde.
Diese seien in Fällen wie dem vorliegenden nicht gehalten, die vom Fahrzeughalter benannten Personen unmittelbar als Betroffene anzuhören. Vielmehr seien zunächst – gegebenenfalls unter Einschaltung der Polizei – weitere Befragungen und Ermittlungen anzustellen. Ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person sei hingegen erst dann einzuleiten, wenn sich ein konkreter Verdacht gegen diese ergebe.
Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz beantragen.
Quelle: Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 10. Dezember 2019, 4 K 773/19.KO